Zum Hauptinhalt springen

Einflussgrößen eines veränderten Lebensmittelmarkts.

Filko, Nadine
In: Allgemeine Fleischer Zeitung, 2023-03-23, S. 6-9
Online serialPeriodical

Einflussgrößen eines veränderten Lebensmittelmarkts 

Ob es um die Auswirkungen des Angriffskriegs in der Ukraine, das Lieferkettengesetz oder Resilienz geht: Hanni Rützler, Fabio Ziemßen, Dr. Simone K. Frey, Prof. Carolyn Hutter und Kolleg:innen der „new FOOD economy" identifizieren beim ersten Beiratstreffen 2023 zentrale Entwicklungen für den Lebensmittelmarkt.

„2022 stand klar im Zeichen des Angriffskriegs auf die Ukraine. Nach Corona kam Ende Februar der Angriff und kurze Zeit später die Schockstarre der Branchen", weiß Fabio Ziemßen, Partner der ZINTINUS GmbH und Vorstand BALPro e. V. Dass der Ukrainekrieg nachhaltige Veränderungen am Lebensmittelmarkt bewirkt hat und weitere Folgen für das Transformationsgeschehen bereithält, darüber waren sich die Mitglieder des Beirats einig. Für Olaf Deininger, Entwicklungs-Chefredakteur Agrarmedien bei der dfv Mediengruppe, steht fest, dass es ohne die Funktion des Welternährers Ukraine langfristig nicht geht. Die Konsequenz wäre eine globale Verschiebung, wie wir sie derzeit in Afrika beobachten würden. Für 2023 würden sich aus dem Krieg auch Implikationen für die Vergabe von Risikokapital oder den Konsum ergeben, die wir jetzt schon spüren. Grund seien nachgelagerte Effekte auf den Lebensmittelmarkt, wie wir sie beispielsweise aufgrund der Energiepreisentwicklung erfahren. „Was wir erleben, ist eine Fortführung der Unsicherheit aus der Coronazeit. Unternehmen haben sich schwergetan, in die Infrastruktur der Nachhaltigkeit zu investieren", erklärt Carolyn Hutter, Professorin und Studiengangsleiterin für BWL - Food Management an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Das Thema Nachhaltigkeit sei damit in den Hintergrund gerückt und würde nur noch mit angezogener Handbremse verfolgt. Doch nicht nur der Angriffskrieg und die Folgen standen im Fokus der Diskussion des Beirats. Zahlreiche weitere Einflussgrößen in drei Dimensionen der Wertschöpfungskette konnten für das Jahr 2023 und die new FOOD economy identifiziert werden.

In der politischen Dimension

TRANSPARENZ

Das Lieferkettengesetz wird 2023 für einen veränderten Blick auf die Nachhaltigkeitstransformation der Lebensmittelindustrie sorgen. Denn hier werden Bereiche von Unternehmen ins Auge gefasst, die vorher in Fragen der Transparenz nicht unbedingt angegangen wurden. Dabei ist noch gar nicht klar, welche Konsequenzen auf Unternehmen zukommen, die das Gesetz brechen. „Unternehmen müssen investieren. Große Konzerne beschäftigen sich intensiv damit, wie sie damit umgehen", verrät Hutter.

In der gesellschaftlichen Dimension

RESILIENZ

„Das neue Normal ist hochgradig komplex. Dieser Komplexität kann man nur mit komplexen Antworten begegnen", erklärt die führende Foodtrend-Forscherin Europas und Gründerin des futurefoodstudio Hanni Rützler. Wo sonst schnelle Lösungen gefordert werden, rückt langfristig eine intensivere Auseinandersetzung mit globalen Problemen in den Fokus und damit eine Etablierung robuster Lösungen. „Wir können durch den Fokus auf Effizienz nicht weiterkommen, Resilienz braucht mehr Spielraum", führt die Expertin aus. Die Mitglieder des neu gegründeten Beirats (v.l.n.r.): Andrea Adelhardt, Christian Schnücke, Fabio Ziemßen, Hanni Rützler, Prof. Dr. Carolyn Hutter, Olaf Deininger und Nadine Filko (nicht im Bild: Borris Förster, Dr. Simone K. Frey und Dr. Carsten Gerhardt)

KULTURELLE ADAPTION

Die Fähigkeit, mit unvorhergesehenen Einflussgrößen zurechtzukommen, wird dabei künftig zu einem zentralen Faktor der Transformation. Ein Ansatz, damit umzugehen, ist die Widerstandsfähigkeit von Lösungen durch kulturelle Festigung zu erhöhen. „Wir müssen über einen neuen Lebensstil nachdenken", betont in diesem Kontext Deininger. Diesen langfristig gesellschaftlich zu implementieren wird Zeit brauchen und eine zielgerichtete Kommunikation über die Erfordernisse der Transformation und den Wandel der Lebensmittelbranche. Denn viele Themen der Transformation sind trotz der Relevanz für eine nachhaltige Entwicklung des Ernährungssystems nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Was beispielsweise der Veganuary zeigt, ist längst kein globaler Wandel. Die Lücke eines marketinggetriebenen Hypes zum neuen Normal muss geschlossen werden. Wobei wir inhaltlich weg vom Verzicht und hin zu einer konsequent kulinarisch, pflanzlich orientierten und nachhaltigen Erweiterung gehen müssen, um kein „Jojo", wie es Rützler nennt, zu erleben – also keine kurzfristigen Versuche, sondern langfristige Lösungen.

In der ökonomischen Dimension

SYSTEMISCHE FESTIGUNG In diesem Jahr wird es vor allem darum gehen, die Systemlandschaft zu festigen und nicht mit wieder neuen Ansätzen umzukrempeln. Dabei wird die Infrastruktur rund um die Innovationen auf- und ausgebaut. Supporting Technologies – Technologien, die helfen, die eigentlichen Innovationen auf den Weg zu bringen – würden zudem mehr in den Fokus rücken. Auch hier geht es darum, Prozesse zu entschleunigen, um eine gesunde technologische Basis zu schaffen. Die Rahmenbedingungen für eine Etablierung müssen zudem geformt werden. Ob es politische Unterstützung ist, eine gesunde Infrastruktur rund um die neue Branche oder die Erarbeitung eines gesunden Regelwerkes: Das Framework der Branche ist entscheidend für das langfristige Bestehen.

HOLISMUS

„Wir müssen lernen, in Wertschöpfungsketten zu denken und nicht entlang einzelner Lösungen", rät Christian Schnücke, Gesamtverlagsleiter Agrar-, Back- und Fleischmedien bei der dfv Mediengruppe. Dabei dürfen Trends, die den Wandel des Lebensmittelmarktes antreiben, nicht zu produktspezifisch sein. Sie müssen holistisch betrachtet werden. Der Fokus auf das einzelne Produkt wird durch die Konzentration auf die technologische Lösung abgelöst. Sie wird entlang der gesamten Wertschöpfungskette angewandt. Interdependenzen einzelner Bereiche wie Verarbeitung oder Handel rücken in den Fokus und helfen dabei, ganzheitliche ökonomische wie ökologische Ansätze zu etablieren.

KOLLABORATION

Wer in den Grenzen seines unternehmerischen Erfolgs denkt, denkt nicht weit genug. Das zeigt beispielsweise das Teilen des Rezepts vom Medium des Kultivierungs-Start-ups Mosa Meat. Alleine können die globalen Probleme nicht gelöst werden. Die Vernetzung der Branche und der Austausch zur Problemlösung muss gestärkt werden. Dazu muss auch klarer über Lösungen aufgeklärt werden, um Parteien ins Boot zu holen, die nicht wissen, wo sie ansetzen sollen, mahnt Frey: „Es gibt so viele Strömungen. Das macht es Unternehmen schwer, sich darüber klar zu werden, wo sie ansetzen sollen." Die Branche muss Unternehmen wie Einzelpersonen dazu befähigen, nachhaltige Lösungen in ihrem individuellen Umfeld zu implementieren.

„Die Industrie hat das große Bedürfnis, der Politik zuvorzukommen." Dr. Simone K. Frey, Gründerin und Geschäftsführerin der Plattform NUTRITION HUB

„Wir können den Konsumenten in die Verantwortung nehmen, müssen aber transparent machen, welche Entscheidungen nachhaltig sind." Carolyn Hutter, Professorin und Studiengangsleiterin für BWL - Food Management an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg

„Man muss sich trauen, komplexe Themen in kleinen Schritten anzugehen." Hanni Rützler, die führende Foodtrend-Forscherin Europas und Gründerin des futurefoodstudio

PHOTO (COLOR): Foto: © Maja Baumeister Die Mitglieder des neu gegründeten Beirats (v.l.n.r.): Andrea Adelhardt, Christian Schnücke, Fabio Ziemßen, Hanni Rützler, Prof. Dr. Carolyn Hutter, Olaf Deininger und Nadine Filko (nicht im Bild: Borris Förster, Dr. Simone K. Frey und Dr. Carsten Gerhardt). Foto: © Maja Baumeister

By Nadine Filko

Reported by Author

Titel:
Einflussgrößen eines veränderten Lebensmittelmarkts.
Autor/in / Beteiligte Person: Filko, Nadine
Zeitschrift: Allgemeine Fleischer Zeitung, 2023-03-23, S. 6-9
Veröffentlichung: 2023
Medientyp: serialPeriodical
ISSN: 0170-9828 (print)
Schlagwort:
  • RUSSIAN invasion of Ukraine, 2022-
  • VALUE chains
  • CULTURAL adaptation
  • FOOD marketing
  • HOLISM
  • UKRAINE
  • Subjects: RUSSIAN invasion of Ukraine, 2022- VALUE chains CULTURAL adaptation FOOD marketing HOLISM
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Geographic Terms: UKRAINE
  • Full Text Word Count: 1019

Klicken Sie ein Format an und speichern Sie dann die Daten oder geben Sie eine Empfänger-Adresse ein und lassen Sie sich per Email zusenden.

oder
oder

Wählen Sie das für Sie passende Zitationsformat und kopieren Sie es dann in die Zwischenablage, lassen es sich per Mail zusenden oder speichern es als PDF-Datei.

oder
oder

Bitte prüfen Sie, ob die Zitation formal korrekt ist, bevor Sie sie in einer Arbeit verwenden. Benutzen Sie gegebenenfalls den "Exportieren"-Dialog, wenn Sie ein Literaturverwaltungsprogramm verwenden und die Zitat-Angaben selbst formatieren wollen.

xs 0 - 576
sm 576 - 768
md 768 - 992
lg 992 - 1200
xl 1200 - 1366
xxl 1366 -