Die Ukraine ist reich an Rohstoffen, vor allem in der Donbas-Region. Dazu gehören Rohstoffe wie Eisenerz und Kohle, die für die erste industrielle Revolution wichtig waren. Der Reichtum umfasst aber auch Nichteisenmetalle und batteriebezogene Mineralien, insbesondere Lithium, das für die moderne und speziell eine grüne Wirtschaft von herausragender Bedeutung ist. Nach einer Einführung in die allgemeine ökonomische Entwicklung des Landes analysiert der Artikel die ukrainische Industrie-, Energie- und Ressourcenbasis, um sich dann auf die Potenziale jener Ressourcen zu konzentrieren, die im Zuge der Dekarbonisierung der westlichen Industriestaaten eine signifikante Rolle spielen werden. Der Artikel gelangt zu dem Schluss, dass Russlands Überfall auf die Ukraine auch von wirtschaftlichen Interessen geleitet war. Russland konnte bislang als Lieferant von fossilen Energieträgern Einfluss ausüben. Angesichts der potenziell großen Lithium-Vorkommen in der Ukraine scheint es sich nun Zugriff auf Stoffe verschaffen zu wollen, die für die Dekarbonisierung der westlichen Länder unverzichtbar sind.
Ukraine is rich in raw materials, not only those that were relevant for the first industrial revolution, i. e., iron ore and coal, especially in the Donbas region, but also in non-ferrous metals and, in battery-related minerals, particularly lithium, which is of outstanding importance for the modern economy, especially a green economy. After an introduction into the general economic development of Ukraine, the article analyses the Ukrainian industry, energy, and resource base in general and then focusses on the economic potentials of these "green" resources that will be important for the decarbonization of Western industrialized countries. The article concludes that Russia's invasion of Ukraine was also driven by economic interests. Russia has so far been able to exert influence through its position as a supplier of fossil fuels. Given the potentially large lithium deposits in Ukraine, Russia's goal seems to be to gain access to materials that are of great importance for the decarbonization of Western countries
Keywords: Ukraine; Rohstoffsicherheit; wirtschaftliche Potentiale; russische Kriegsziele; raw materials security; economic potential; Russian war-aims
2005 bezeichnete der russische Präsident Wladimir Putin den Zerfall der Sowjetunion als die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Aus russischer Sicht war seine Aussage nicht ganz unbegründet. Der Kollaps war nicht nur dem imperial overstretch der Sowjetunion geschuldet, sondern auch den niedrigen Ölpreisen nach der zweiten Ölkrise von 1980. Diese Baisse hielt Ende der 1990er-Jahre an und trug 1998/99 zum Einbruch der sowjetischen Wirtschaft und der massiven Abwertung des Rubels bei. Das Geschäftsmodell der sowjetischen und später der russischen Wirtschaft basierte weitgehend auf fossilen Rohstoffen, die für Einnahmen sorgten, die sich in militärische Machtmittel umsetzen ließen und das Land gegenüber wirtschaftlicher Kriegsführung „robust" machten. Sie waren auch ein Instrument, um Einfluss in Europa und anderen Teilen der Welt zu nehmen. Mit dem Kyoto-Protokoll von 1997 und spätestens dem Pariser Klimaabkommen von 2015 begriff auch der Kreml, dass das Ende dieses Geschäftsmodells naht. Das nährt die Vermutung, dass die russische Führung die wirtschaftlich dominierende Funktion als Rohstofflieferant auf Materialien ausdehnen will, die Treiber der „grünen" Revolution (also der anstehenden Dekarbonisierung der Industriestaaten) sind.
Graph: Abbildung 1: Der Donbas als Herz Russlands, Plakat aus dem Jahr 1921
Nach Ansicht des Kremls dürfte das wirtschaftliche Überleben Russlands in hohem Maß von der Kontrolle über Bodenschätze abhängen, die im Land reichlich vorhanden und auf die viele andere Nationen angewiesen sind. Letzteres betrifft besonders die Staaten der westlichen Gemeinschaften und China. Unter den Bedingungen der globalen Energiewende, speziell der Dekarbonisierung, muss aus Russlands Sicht der Wert seiner fossilen Ressourcen zwangsläufig erodieren. Daher ist davon auszugehen, dass sein Überfall auf die Ukraine nicht nur machtpolitisch motiviert war, sondern auf den Zugang zu ukrainischen Rohstoffen und Materialien zielt, die Russland im Zeitalter einer dekarbonisierten Wirtschaft wieder eine dominante Position als Rohstofflieferant sichern könnten. Ein solches Vorgehen hat durchaus Tradition, denn im russischen Narrativ gilt vor allem der Osten der Ukraine – der Donbas – seit langem als zentral für die Entwicklung und das Überleben der russischen Wirtschaft.
Der Sowjetunion war der Wert des Donbas von Anbeginn bekannt. Die Region galt als das Herzstück der Industrie, das im Zuge der forcierten Industrialisierung den Lebenssaft, d. h. die Ressourcen, in die Wirtschaft pumpt. Sie war nicht nur „Vorzeigeregion des Sozialismus", sondern auch Experimentierfeld für die Zwangsindustrialisierung unter Stalin. Ein Plakat aus dem Jahr 1921 vermittelt eine Vorstellung von diesem fast mythischen Verständnis des Donbas als dem wirtschaftlichen Herz der Sowjetunion. Ein russischer Artikel aus dem Jahr 2014 zeigt, dass diese Tradition weiterlebt. Er führt aus, dass Russland die Provinzen des Donbas (Donezk und Luhansk) nicht aufgeben dürfe, das Konzept einer einheitlichen Ukraine an der ideologischen Durchdringung des Westens gescheitert sei und die Menschen in Donezk und Luhansk ein Vorposten der russkij mir – der russischen Welt – seien.
Mit der Auflösung der Sowjetunion zum Jahreswechsel 1991/92 zerfiel das ehemals russische Reich. Nach russischer Sichtweise verlor man 23,8 Prozent des Territoriums, 48,5 Prozent der Bevölkerung, 41 Prozent der Wirtschaftsleistung, 39,4 Prozent der Industrie und 44,6 Prozent des militärischen Potenzials. Als die Ukraine vor mehr als 30 Jahren gegründet wurde, war sie bevölkerungsmäßig und wirtschaftlich gesehen der nach der Russischen Föderation (RSFSR) wichtigste Nachfolgestaat der UdSSR und ein Kraftzentrum der Industrieproduktion. Dieser Tatbestand spiegelte sich jedoch nicht im Wohlstand der Ukraine wider. Wie Abbildung 2 illustriert, verfügte die Ukraine 1991 über ein Nationaleinkommen von etwa 13 Prozent des russischen Einkommens, während ihre Bevölkerung 34 Prozent derjenigen Russlands ausmachte. Russland war damals mehr als doppelt so reich wie die Ukraine.
In der Tat war die Ukraine eine der ärmsten ehemaligen Sowjetrepubliken nach Aserbaidschan, Georgien, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan. Ihre industrielle Produktion schrumpfte in den 1990er-Jahren weit mehr als die anderer Republiken. Ab 1992 verzeichnete sie eine fortschreitende Deindustrialisierung, was die Wirtschaft auf einen Tiefpunkt brachte. Hightech-Industrien und Maschinenbau fielen stark zurück, besser standen metallurgische, chemische und andere energieintensive Industrien da.
Graph: Abbildung 2: Wirtschaftliche Entwicklung Russlands und der Ukraine gemessen in BIP seit 1989Quelle: eigene Zusammenstellung und Berechnungen mit Daten der World Bank 2022
Graph: Abbildung 3: Der Handel zwischen Russland und der UkraineQuelle: eigene Zusammenstellung und Berechnungen aufgrund der Daten von World Bank: World Development Indicators, https://databank.worldbank.org/source/world-development-indica-tors, Zugriff am 15.01.2023.
In der sozialistischen Wirtschaft folgten die industriellen Wertschöpfungsketten nicht unbedingt den komparativen Vorteilen der Industriestandorttheorie und damit marktwirtschaftlichen Leitlinien. Vielmehr bevorzugte man explizit eine Verteilung der Industrien, die es erlaubte, auch in peripheren Regionen Wirtschaftswachstum zu generieren. Dass diese Industriestrukturen in der Regel ökonomisch nicht tragfähig waren, zeigte sich daran, dass sie nach der Einführung marktwirtschaftlicher Bedingungen unter Druck gerieten und oft völlig einbrachen. Die Auflösung der Sowjetunion bewirkte eine Erosion der bestehenden Wertschöpfungsketten. Sie erklärt auch den wirtschaftlichen Niedergang der Russischen Föderation, der 1998 zum Staatsbankrott führte.
Nach 1992 kam die wirtschaftliche Interaktion zwischen der Ukraine und Russland zum Erliegen. Bis in die 2000er-Jahre stieg der Handel langsam wieder an, auch weil an alte Lieferverbindungen aus der Sowjetära angeknüpft wurde. Infolge der politischen Instabilität in der Ukraine nahm er ab 2011 erneut ab und blieb nach Russlands Besetzung von Teilen der Ostukraine und Krim-Annexion auf einem niedrigen Niveau.
Graph: Abbildung 4: Die Entwicklung der Ölpreise, 1970–2022Quelle: eigene Berechnungen mit Daten von Stooq.com für 2019 und Finanzportal Onvista.de für 2023
Eine dynamische Entwicklung der Wirtschaftsstrukturen fand in Russland nicht statt. Denn mit der Privatisierung entstand ein oligarchischer Machtraum, der auch die Staatsgewalt herausforderte. Insbesondere mittelständische Strukturen konnten sich lange Zeit nicht entwickeln.
In der Ukraine verlief die wirtschaftliche Entwicklung noch schlechter. Zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der UdSSR war die Ukrainische SSR eine der am weitesten entwickelten Unionsrepubliken. Dies bezog sich auf die wissenschaftliche und industrielle Position, schlug sich aber nicht im Einkommen ihrer Bewohner nieder. Besonders hoch entwickelt und leistungsfähig war der militärisch-industrielle Bereich, mitsamt Produktion von Raketenwaffen, schweren Transportflugzeugen und Panzern. Trotz dieser günstigen Ausgangsbedingungen ging es wirtschaftlich mit der Ukraine eher bergab. Ein Auslöser war Russlands Bestreben, die bis dato subventionierten Energiepreise für die Ukraine auf „Weltmarktniveau" anzuheben. Das reduzierte die implizite Subventionierung der ukrainischen Wirtschaft, die zu Sowjetzeiten unter einer gemeinsamen Währung entstanden war. Die Dimensionen dieses Vorgehens begreift man, wenn man sich vor Augen führt, dass das Anheben der Vorzugspreise für Öl, Gas und andere aus Russland importierte Rohstoffe auf Weltmarktniveau einen Transfer von etwa 30 Prozent des ukrainischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) nach Russland bedeutete. In dem Maß, in dem Moskau diese Politik umsetzte, kam es in der Ukraine zu einem Anstieg der Kosten für Industrie und Haushalte und damit zu massiven Verlusten an Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit – eine Entwicklung, die das Bestreben der Ukraine, der Europäischen Union (EU) und NATO beizutreten, beförderte.
Ab diesem Zeitpunkt entwickelten sich die wirtschaftlichen Pfade Russlands und der Ukraine unterschiedlich. Russland erwirtschaftete mit hohen Rohstoffpreisen erhebliche Überschüsse und konnte so einen Devisen- und Goldschatz anhäufen und vor allem seine nach der Finanzkrise 1998/99 angesammelten Schulden tilgen. Abbildung 4 zeigt die Entwicklung der weltweiten Ölpreise und erfasst die wichtigsten geopolitischen Ereignisse ab 1970. Der Rückgang der Ölpreise von Anfang der 1980er- bis Anfang der 2000er-Jahre belastete die Sowjetunion und die neu entstandene Russische Föderation. Der neuerliche Verfall der Ölpreise, der zunächst mit der weltweiten Finanzkrise und dann Mitte der 2010er-Jahre mit der Kommerzialisierung von Fracking zur Gewinnung von unkonventionellem Öl und Gas einsetzte, belastete den russischen Staatshaushalt abermals erheblich.
Im Gegensatz dazu war der ukrainische Staatshaushalt fast immer defizitär, auch weil die Wirtschaftsleistung stetig abnahm. Der Krieg im Jahr 2022 hätte ohne westliche Unterstützung zum fiskalischen Zusammenbruch des Staats geführt. Das ukrainische Haushaltsdefizit dürfte 50 Prozent überschreiten, würde es nicht durch fiskalische und materielle Transfers aufgefangen. Abbildung 5 stellt diese Entwicklungen dar.
Graph: Abbildung 5: Haushaltssalden Russlands und der Ukraine, 1992–2022Quelle: eigene Berechnungen mit Daten des IMF und von [
Allerdings waren nicht allein die erhöhten Erdgas- und Erdölpreise verantwortlich für den wirtschaftlichen Niedergang der Ukraine, sondern auch politische Weichenstellungen. Der zweite Präsident, Leonid Kuchma richtete seinen wirtschaftspolitischen Kurs darauf aus, anstelle des Mittelstands (Spielzeugunternehmer, wie er zu sagen pflegte) nationale Großkapitalien zu schaffen, die den industriellen Aufschwung steuern sollten. Diese neuen Global Player waren jedoch nicht stark genug, um eine integrierte Entwicklung des Landes herbeizuführen. Laut Einkommensstatistiken aus dem Jahr 2013, also vor Russlands erster Aggression, war die Wirtschaft rund um das Dnipro-Tal und östlich davon etwa 50 Prozent leistungsfähiger als im Westen und auf der Krim. Die Region Donezk wies ein doppelt so hohes Einkommen auf wie die Regionen in der Nähe zu Polen. Diese Polarisierung ging teilweise mit einer ethnischen und religiösen Kluft einher, die auch die russischen imperialen Bestrebungen in der Donbas-Region begünstigte.
Unter diesen Bedingungen bildeten sich in der Ukraine mindestens drei Wirtschaftsregionen heraus, die starke interne Konvergenzmerkmale aufwiesen – auch was Armut betraf – und dennoch extrem divergierten:
- Rostgürtelregionen im Zentrum und im Osten : Die Auflösung der interregionalen Arbeitsteilung nach Zerfall der Sowjetunion 1991 führte zu einem deutlichen Rückgang der Industrieproduktion im Donbas, insbesondere im Bereich der Schwerindustrie und des verarbeitenden Gewerbes. Die Durchschnittslöhne sanken im Vergleich zu 1990 um 80 Prozent und die Bergarbeiter im Donbas traten wiederholt in den Streik.
- Dienstleistungsregionen : In Kyjiw und in Charkiw entwickelte sich ein hoher Anteil an modernen Finanz- und digitalen Dienstleistungen sowie Transport- und Verkehrsdienstleistungen im Süden am Dnipro und Schwarzen Meer bis nach Sewastopol auf der Halbinsel Krim.
- Agrarregionen : Dies sind die industriell vergleichsweise unterentwickelten, im Zentrum gelegenen Teile der Ukraine mit einem dominierenden Agrarsektor.
Seine gescheiterte integrative Wirtschaftsentwicklung machte den ukrainischen Staat immer abhängiger von Einnahmen aus weniger entwickelten, vor allem landwirtschaftlich geprägten Regionen. Dies schränkte seine Kapazitäten ein und erhöhte seinen Kreditbedarf. Bei Handel, Erdgas und finanzieller Unterstützung war das Land zunehmend angewiesen auf Russland. Während der Orangenen Revolution von 2004/5 und im Euromaidan von 2013/14 entstand das Bild einer Ukraine, die zwischen Russland und Europa hin- und hergerissen war. Diese Phase endete erst mit Russlands Annexion der Krim und seiner hybriden Aggression im Donbas sowie dem Entstehen der beiden separatistischen Regionen Donezk und Luhansk. Seither ist die Entschlossenheit der Ukraine nicht zu übersehen, sich aus allen Abhängigkeiten von Russland zu lösen. Doch die wirtschaftlichen Grundbedingungen sind unverändert. Die Auflösung einer integrierten Wirtschaft nach dem Ende der Sowjetunion, die russische Wirtschaftsdepression der 1990er-Jahre, die politische Instabilität in den östlichen Provinzen der Ukraine und die Aggression Russlands ab 2014 – all dies hat in der Ukraine eine ökonomische Basis zerstört, die eigentlich große Zukunftschancen bietet, auch für eine grüne Wirtschaft. Um das zu verdeutlichen, wird im Folgenden das wirtschaftliche Potenzial der Ukraine aufgezeigt.
Die Ukraine ist ein äußerst reiches Land, sowohl was die nachgewiesenen Reserven als auch die wirtschaftlich nutzbaren Energieressourcen und Bodenschätze angeht. Zu Sowjetzeiten waren die Verfügbarkeit von Kohle und Eisenerz sowie die bestehende Infrastruktur ein sehr starker Motor für die Industrialisierung. Damals stand der Donbas im Zentrum der Entwicklung. Darüber hinaus bot und bietet der Bestand an breiten Flüssen wie dem Dnipro Transport- und Wasserkraftmöglichkeiten sowie Effizienzgewinne für alle Arten von Stromversorgungsunternehmen, die große Kühlkapazitäten benötigen.
Tabelle 1 zeigt den Rang der Ukraine bei den Reserven an Rohstoffen und fossilen Energieträgern gemessen an Europa und der Welt auf. Insbesondere bei Uran und Titan spielte die Ukraine schon zu Sowjetzeiten eine wichtige strategische Rolle. Die Mangan- und Eisenerzreserven gehören immer noch zu den größten der Welt, ebenso die von Quecksilbererzen. Um von Importen aus Russland unabhängig zu werden, ist auch Schiefergas bedeutend, vor allem als Übergangstechnologie sowie für künftige Spezialanwendungen wie Düngemittelproduktion.
Die Bedeutung von Titan ist besonders hervorzuheben: Derzeit ist die Ukraine eines von fünf Ländern weltweit, die Titanerzmineralkonzentrate (Ilmenit und Rutil) produzieren. Mehr als 30 Titanvorkommen, teilweise in Produktion und teilweise im Detail exploriert, befinden sich auf dem Staatsgebiet der Ukraine. Nach ukrainischer Gesetzgebung sind Informationen über Reserven von Titanerzen Staatsgeheimnis. Der geologische Dienst der USA vermutet Reserven in Höhe von 8,4 Millionen Tonnen, darunter Ilmenit mit 5,9 Millionen und Rutil mit 2,5 Millionen Tonnen. Dies wären 1,12 Prozent der Weltreserven. Das ukrainische Unternehmen UMCC Titanum, einer der größten Titanhersteller der Welt, geht davon aus, dass die Ukraine über etwa 20 Prozent der verzeichneten Weltbestände von Titanerzen verfügt – rund 40,2 Millionen Kubikmeter. Nach Informationen des ukrainischen Unternehmens Metallurgprom ist die größte Titanlagerstätte in der Ukraine der Selischansky-Block (1.857 Hektar) in der Region Schytomyr mit Ilmenitanteilen von 50–70 kg/m
Tabelle 1: Rang der Ukraine bei ausgewählten Reserven von Rohstoffen und fossilen Energieträgern, 2021
Uranerze 1 10a Titanerze 2 10 Manganerze (2,3 Milliarden Tonnen oder 12 % der globalen Reserven) 1 2 Eisenerze (30 Milliarden Tonnen); 1 2 Quecksilbererze 2 2 Schiefergasreserve (22 Billionen Kubikmeter) 3 13 Kohle (33,9 Milliarden Tonnen) 2b 8
Quelle: Homeland Security Today: Why Ukraine matters, Webseite der US-Homeland-Security-Behörde , 22.2.2022; https://
Was das landwirtschaftliche Potenzial betrifft, so war und ist die Ukraine eines der reichsten Länder der Welt und zählt in so gut wie allen Sektoren zu den führenden Erzeugern und Exporteuren. Tabelle 2 gibt einen Überblick über den Rang der Ukraine bei den wichtigsten landwirtschaftlichen Ressourcen und erklärt damit auch, warum die infolge des Ukraine-Kriegs verhängte Sperrung der Häfen so starken Einfluss auf die Welternährungssituation hat.
Tabelle 2: Rang der landwirtschaftlichen Ressourcen, Produktion und Exporte der Ukraine, 2021
Landwirtschaftlich nutzbares Land 1 8a Schwarzerdenflächen (25 % der globalen Flächen) 1b 3 Sonnenblumen und Sonnenblumenöl 1 1 Gerste 2 4 Mais (anderen Angaben zufolge weltweit viertgrößter Exporteur) 1c 5 Kartoffeln 1 3 Roggen 4 4 Honig (75,000 Tonnen) 1 5 Weizen 1 5 Hühnereier 6 9
Quelle: Homeland Security Today: Why Ukraine matters, Webseite der US-Homeland-Security Behörde , 22.2.2022; https://
Tabelle 3 gibt weitere Einblicke in das industrielle Potenzial. In der Ukraine gibt es eine Vielzahl Spezialindustrien, z. B. für Raketentriebwerke und Hochleistungsturbinen. Diese Industrien waren ein wesentlicher Bestandteil der sowjetischen Wirtschaft und konnten in die neue Ära gerettet werden. Als Stahlproduzent ist die Ukraine ein wichtiger Player; neben dem bekannten, inzwischen von Russland zerstörten Azow-Stahlwerk in Mariupol sind vor allem folgende Standorte zu nennen: Iljitsch Eisen- und Stahlwerke (Mariupol, Region Donezk), Zaporizhstal (Region Saporischschja), Kryvorіzhstal (Region Dnipropetrowsk), Dneprospetsstal (Region Dnipro), Khartsyzsk Pipe Plant (Region Donezk), Dnipropetrowsk Metallwerk (Region Dnipro), Yenakiieve Metallurgisches Werk (Region Donezk), Makiivka Metallurgisches Werk (Region Donezk), Nikopol Röhrenwerk LLC (Region Dnipropetrovsk), Avdiiv Coke Chemiewerk (Region Donezk) und Dnipropetrovsk Metallurgisches Kombinat (Region Dnipro).
Tabelle 3: Positionen der Ukraine bei Infrastruktur, Ressourcen und Produktion, 2021
Dichte des Erdgasnetzes 2 4 Kapazität der Kernkraftwerke 2 8 Länge des Schienennetzes (21.700 km) 3 11 Stahlexport 1 5 Export von Turbinen für Kernkraftwerke 1a 4 Raketen-Abschussvorrichtungen 1b 4 Export von Tonerden 1 3 Export von Titan 1 5/4c Export von Erzen und Konzentraten 1 8/4d Rüstungsexporte 8 12/14e Stahlproduktion (32,4 Millionen Tonnen) 6 12
Quelle: Homeland Security Today: Why Ukraine matters, Webseite der US-Homeland-Security-Behörde , 22.2.2022; https://
Einen Überblick über die Position der Ukraine bei Vorkommen ausgewählter Mineralien vermittelt Tabelle 4, aus der auch hervorgeht, dass die Ukraine einer der wichtigsten Standorte für die weltweite Versorgung mit Mineralien ist. Eine unabhängige Ukraine könnte ein gewichtiger Konkurrent Russlands auf dem Markt für Rohstoffe und Mineralien werden. Eine zur EU gehörende Ukraine wäre in der Lage, sich zu einem strategischen Netzwerkpartner innerhalb der westlichen Volkswirtschaften zu entwickeln. Magnesium kommt hier eine wichtige Rolle zu: China fördert derzeit weltweit über 80 Prozent der Vorkommen an Magnesium, einem bedeutenden Legierungselement für Aluminium. Würde Magnesium wegen eines Konflikts nicht mehr geliefert, käme binnen kurzer Zeit ein Großteil der Aluminiumindustrie – und damit auch der Fahrzeugindustrie – zum Erliegen. Russlands Förderkapazitäten liegen zwar auf Platz 2, die Verarbeitungskapazitäten sind aber niedriger und überschreiten nur knapp die der Ukraine.
Die weiter unten abgebildeten Standortkarten in Abbildungen 8, 10 und 11 zeigen, dass in den besetzten bzw. annektierten Gebieten Vorkommen zu finden sind, die Russland zu einem Marktmonopol verhelfen könnten, sollte es sich diese Gebiete einverleiben.
Die Ukraine verfügt über eines der bestentwickelten Gasnetze der Welt, eine wichtige Voraussetzung für die Zukunftsperspektiven ihres Energiesektors. Aufgrund seines Potenzials für saubere Energie bietet sich Wasserstoff der ukrainischen Energiewirtschaft als vielversprechendes Element an. Er kann als universeller Kraftstoff für Fahrzeuge gelten, da er umweltfreundlich ist und Gas, Benzin, Diesel, Öl und Kohle ersetzen kann. In der Ukraine befindet sich die Wasserstoffstrategie noch in der Entwicklungsphase, aber sie eröffnet einen soliden strategischen Rahmen für eine Politik, die den Ausbau erneuerbarer Energiequellen im Verkehrswesen auf Grundlage von Biokraftstoffen, Strom und Wasserstoff anstrebt. Die Ukraine will bis zum Jahr 2060 Klimaneutralität erreichen. Die gut ausgebaute Pipeline-Infrastruktur könnte sich künftig auch für die Lieferung von Wasserstoff an Kunden in der Ukraine und der EU nutzen lassen. Darüber hinaus ist das ukrainische Stromnetz, weil Hauptstromlieferant in Sowjetzeiten, sehr stark integriert und verfügt über redundante Kapazitäten, die im Fall russischer Angriffe Umgehungsmöglichkeiten für zerstörte Verbindungen schaffen helfen.
Tabelle 4: Rangliste der Rohstoffe und Spezialmineralienproduzenten, 2017
Gallium (13 %); medizinische Diagnostik, Militär 3 2 Rutil (12,3 %); Herstellung von Titandioxyd und Extraktion anderer Mineralien 3 1 Titanschwamm (4,4 %); Titan, Luftfahrtindustrie 5 6 Graphite (2,2 %); Elektroden, insbesondere Batterieanoden 5 6 Brom (1,3 %); Verbundwerkstoffe, Desinfektionsmittel, 5 Eisenerz (2,5 %); Roheisen, Stahlindustrie mit nachgelagerten Industrien 7 5 Manganerz (4,2 %); Veredeln von Metallen 7 10 Kaolin/Tonkugeln (4,9 %); Bauindustrie, Sanitärprodukte 8 6 Magnesiummetall (0,8 %); Reduktion anderer Nichteisenmetalle wie Nickel, Kupfer, Uran, ‚Aluminiumlegierungen 8 2 Ilmenit (4,2 %); Herstellung von Titandioxyd und Extraktion anderer Mineralien 9 10 Roheisen (1,7 %); Stahlindustrie mit nachgelagerten Industrien 9 4 Bentonit (1,0 %); pharmazeutische und kosmetische Industrie, keramische Industrie, Bauindustrie 11 4 Torf (2,1 %); Gartenbau 11 8 Rohstahl (1,2 %); alle nachgelagerten Industrien 11 5
Quelle: The Mineral Industry of Ukraine, 2017–18 (XLSX) Tables-Only Release, zu finden auf der Webseite des US Geological Services ; https://
Auf der Angebotsseite hat die Ukraine aus der Sowjetzeit ein leistungsfähiges Energiesystem mit Kernkraftwerken, Wärmekraftwerken und Wasserkraftwerken geerbt, letztere hauptsächlich an den Flüssen Dnipro und Dnister. Die meisten der bestehenden Energieanlagen müssen derzeit modernisiert werden. Abbildung 6 gibt Aufschluss über die Erzeugungskapazitäten für Strom und Prozesswärme (einschließlich für den Wohnungsbau). Etwa ein Drittel der Gesamtkapazität von 63 GW ist Strom.
Bei den vier Kernkraftwerken handelt es sich um Druckwasserreaktoren sowjetischer Bauart, die von OKB Gidropress, einem Konstruktionsbüro südlich von Moskau, entwickelt wurden. Sie befinden sich an vier Standorten: (i), Rivne (Bruttokapazität von 2.835 MWe – die vier Blöcke wurden 1980, 1981, 1986 und 2004 in Betrieb genommen); (ii), Khmelnitsk (Bruttokapazität von 2.000 MWe – die beiden Blöcke gingen 1987 und 2004 in Betrieb); (iii), Südukraine (Bruttokapazität von 3.000 MWe – die drei Blöcke wurden 1982, 1985 und 1989 hochgefahren, die Fertigstellung des vierten Blocks wurde aufgegeben); (iv), Saporischschja (Bruttokapazität von 6.000 MWe – die sechs Blöcke starteten 1984, 1985, 1986, 1987, 1989 und 1995 den Betrieb). Von den insgesamt 15.835 MWe sind 3.000 MWe abzuziehen, da drei Blöcke abgeschaltet wurden. Kernkraft liefert etwa die Hälfte der Elektrizität und 17 Prozent der gesamten Energieversorgung.
Die Wärmekraftwerke werden mit Kohle, Gas und Öl gespeist; es gibt 66 Blöcke an 13 Standorten, die zwischen 1941 (Kurakhivska) und 1982 (Zuevska) ihren Betrieb aufnahmen. Wasserkraftwerke spielen eine wichtige Rolle entlang der großen Flüsse, insbesondere des Dnister und des Dnipro. Die 30 Anlagen liefern 14 Prozent der elektrischen Energie der Ukraine; sie starteten zwischen 1932 (Dniprovska) und 2009 (Dnistrovska) ihren Betrieb. Dniprovska ist berühmt, seit im Zweiten Weltkrieg sowjetische Truppen den Damm als Schutzmaßnahme sprengten; im Jahr 2022 sollte er von den russischen Streitkräften erneut als „Wasserwaffe" gegen die Ukraine eingesetzt werden. Die potenziellen Onshore- und Offshore-Windenergiekapazitäten werden auf etwa 435 GW geschätzt und gelten als sehr rentabel, während sich die Photovoltaikpotenziale nur auf durchschnittlichem Niveau bewegen.
Graph: Abbildung 6: Die Energieversorgung der Ukraine (Stand vor dem 24.02.2022)Quelle: Mahmoud 2022
Damit die Ukraine ihre Nachhaltigkeitsziele erreichen kann, müssen Energieversorgung und Marktregulierungen reformiert werden. Sie wird viel in den Wiederaufbau und die Sanierung bestehender Kraftwerke oder sogar in den Aufbau einer neuen Energieinfrastruktur investieren müssen, denn heute erzeugen umweltschädliche Kohlekraftwerke mehr als ein Drittel des Stroms in der Ukraine. Sonne und vor allem Wind gibt es im Land im Überfluss. Ohne ausländische Investitionen wird die Ukraine jedoch nicht in der Lage sein, genügend Sonnenkollektoren und Windturbinen zu installieren.
Wichtige Onshore- und Offshore-Energiechancen bieten sich in den Schwarzmeerregionen, dem Asowschen Meer und für Photovoltaik in den weniger fruchtbaren Regionen des Ostens. Angesichts der Notwendigkeit, grüne Lieferketten aufzubauen und sich von Russland abzukoppeln, macht eine Modernisierung von Gas- und Kohleanlagen langfristig keinen Sinn. Das Potenzial der erneuerbaren Energien wurde mit etwa 121 Mio. MWh pro Jahr berechnet. Bei einer angenommenen Auslastung von 2.000 Stunden pro Jahr sind das etwa 60,5 GW – rund 20 Prozent über der derzeitigen konventionellen Versorgung (54 GW aus Abbildung 7).
Die Ukraine besitzt die weltweit größten Reserven an kommerziell nutzbarem Eisenerz – 30 Milliarden Tonnen oder etwa ein Fünftel der weltweiten Gesamtmenge. Das Land verfügt über große Erdgas- und Erdölvorkommen, die noch weitgehend unerschlossen sind, sowie über 4 Prozent der weltweiten Kohlereserven. Donbas steht für das Donezk-Kohlebecken. Dort ermöglichten die riesigen Kohlereserven das Wachstum des Kohlebergbaus, der Stahlherstellung und der industriellen Produktion von Flugzeugen, Turbinen, Lokomotiven und Traktoren. Ein weiteres historisches Kohleabbaugebiet umfasste auch Gegenden in der Oblast Dnipropetrowsk. Abbildung 8 zeigt die für fossile Energieressourcen wichtigsten Gebiete.
Der Wirtschaftsraum des Donbas verdient wegen seiner Gefährdung durch die russische Aggression besondere Aufmerksamkeit: Er steht in der Ukraine an erster Stelle, was die industrielle Produktion und deren Konzentration angeht. Die Industrie des Gebiets basierte historisch auf dem Kohlebergbau. Der Donbas mit der Region Donezk, seit dem späten 19. Jahrhundert das wichtigste Kohleabbaugebiet auf dem Territorium der heutigen Ukrainischen Republik, entwickelte sich zu einem Zentrum der Industrie. Auf der Grundlage der Brennstoffproduktion bildete sich ein mächtiger industrieller Kern auf Basis von Wärmekraftwerken. Die größten Kraftwerke sind Wugleghirska, Zujiwska, Starobeschiwska, Kurachiwska und Luhansk. In der Region Donezk gibt es eine Eisenmetallurgie, die auf der Produktion von Kokskohle, Kalksteinen und importierten Eisenerzen aus der Dnipro-Region (Mariupol, Makiiwka, Luhansk, Donezk, Kramatorsk) beruht, sowie eine Nichteisenmetallurgie mit der Produktion von Zink, Blei (Kostyantyniwka) und Quecksilber (Horliwka). Der Schwermaschinenbau spielt eine wichtige Rolle; er beliefert den Bergbau und die Metallurgie (Kramatorsk, Horliwka,Donezk usw.). Die Produktion von Eisenbahnen und Kränen befand sich in Luhansk, Mariupol, Kramatorsk und Donezk. Daher verfügt die Region Donezk über eines der dichtesten Transportwegenetze in der Ukraine. Der Donbas weist außerdem eine starke chemische Industrie auf, die u. a. Soda, Färbemittel, Stickstoffdünger, Polymere und chemische Reagenzien herstellt.
Graph: Abbildung 7: Potenziale für erneuerbare Energien in der UkraineQuelle: Flanders Investment and Trade Market Survey 2018.
Die Ukraine ist dank ihrer Schwarzmeerhäfen, ihres Straßen- und Eisenbahnnetzes sowie der Öl- und Gaspipelines ein wichtiges Transitland für Polen, Russland und Belarus. Für Russlands internationalen Handel sind Transitkanäle äußerst wichtig, und die Ukraine beherrscht viele davon. Das macht die Ukraine eher zu einem Objekt der wirtschaftlichen und infrastrukturellen Entwicklung anderer Nationen als zum Architekten oder Motor einer eigenständigen Entwicklung. Nirgendwo waren das Gesamtbild so klar und die Details so undurchsichtig wie beim Gastransit. Nach Ansicht Russlands besaß die Ukraine aufgrund ihrer Beinahe-Monopolstellung beim Gastransit nach Europa eine übermäßige Verhandlungsmacht bei den Vertragsverhandlungen über die Transitgebühren. Deswegen wurden Pipelines gebaut, die die Ukraine als Transitstrecke umgehen, darunter die Nord-Stream-Gaspipeline, die den Weg von der Jamal-Halbinsel verkürzt und über die ein Teil des Gases an die Endmärkte in Westeuropa geliefert wurde. Damit drohte der Ukraine der Verlust von Transitgebühren und teilweise auch ihrer Schlüsselrolle im eurasischen Gasnetz. Um mit alternativen Routen konkurrenzfähig zu bleiben, musste sie die Transporttarife für Gas senken.
Der Dnipro ist der viertlängste Fluss in Europa und durchquert die drei Länder Russland, Belarus und die Ukraine, ehe er in das Schwarze Meer mündet. Er ist für den Verkehr und die Wirtschaft der Ukraine von großer Bedeutung. Er ermöglicht Schiffen den Zugang zum Hafen von Kyjiw, was einen hervorragenden Transportkorridor für internationale Waren schafft, und erlaubt die Nutzung von Schiffen und Fluss zu touristischen Zwecken. Über ihn führen etwa 50 verschiedene Übergänge, darunter mehr als 20 Eisenbahnbrücken. Berühmt ist der Fluss auch für seine Dämme, an denen Wasserkraftwerke und anschließend eine Kaskade von Stauseen angelegt wurden. Neben den großen Dnipro-Stauseen gibt es im Einzugsgebiet etwa 500 kleinere Stauseen, die 45 Prozent der Fläche aller Stauseen in der Ukraine ausmachen. Durch den Bau der Wasserkraftwerkskaskade wurde der Fluss zu einer Kette von Seen.
Dank der Wasserressourcen des Dnipro ließen sich Probleme wie die Wasserversorgung und die Bewässerung von Regionen leicht lösen. Der Fluss speist den Nord-Krim-Kanal, der die Halbinsel zu etwa 85 Prozent mit Süßwasser versorgt. Nach Russlands Eroberung der Krim 2014 riegelte die Ukraine die Wasserzufuhr durch eine Sperre ab, die russische Truppen in den ersten Kriegstagen des Jahres 2022 sprengten. Durch die Zerstörung des Kachowka-Damms im Juni 2023 ist der Kanal dauerhaft trockengefallen. Die intensive Nutzung des Dnipro brachte zahlreiche schwerwiegende Umweltprobleme mit sich, industrielle und häusliche Abwässer haben sein Wasser verschmutzt.
Graph: Abbildung 8: Karte der fossilen Energieressourcen der UkraineQuelle: eigene Darstellung nach Anthony Faiola/Dalton Bennett: In the Ukraine War, a Battle for the Nation's Mineral and Energy Wealth, Washington Post, 10.8.2022; die von russischer Seite okkupierten Gebiete geben den Stand vom Sommer 2022 wieder.
Die Seeverkehrsindustrie der Ukraine umfasst ein Netz von Seehäfen sowie Verladeterminals und Komplexe verschiedener Eigentumsformen. In der Ukraine gibt es 14 Häfen (einschließlich auf der von Russland annektierten Krim), darunter fünf Tiefwasserhäfen: der Hafen Piwdennyi sowie die Häfen in Chornomorsk, Odessa und Mykolajiw. Etwa 60 Prozent des Güterverkehrs läuft über die drei Haupthäfen in Odessa, Chornomorsk und Piwdennyi. Ein großer Teil des Seeverkehrs entfällt auf den Export von Öl, Ölprodukten, Getreide und anderen Produkten. Die Schwarzmeerhäfen sind Endpunkte einer Reihe paneuropäischer Verkehrskorridore, z. B. TRACECA (Verkehrskorridor Europa-Kaukasus-Asien).
Tiefsee-Gaspipelines wie Blue Stream und TurkStream auf dem Grund des Schwarzen Meeres spielen eine weitere wichtige Rolle. Sie verbinden Russland mit dem Balkan Stream. Bedeutend ist die Schwarzmeerregion auch für Industrie und Tourismus. Verschiedene Fischarten werden kommerziell genutzt, und wegen seiner günstigen klimatischen Bedingungen hat sich das Schwarze Meer bis 2014 bzw. zum Kriegsbeginn zu einer beliebten Urlaubsregion entwickelt. Der internationale Seeverkehr wird hauptsächlich über den Hafen von Odessa abgewickelt, von dem aus regelmäßig Fähren nach Istanbul, Varna und Haifa fahren. Darüber hinaus haben See- und Flusshäfen sowie die Wasserinfrastruktur im Allgemeinen eine wesentliche Bedeutung für den Handel zwischen der Ukraine und der EU und für die künftigen Integrationsperspektiven.
2001 hat die Ukraine im Rahmen der Modernisierung der Wirtschaft begonnen, Lagerstätten von mineralischen Rohstoffen zu versteigern, ab dem Jahr 2020 auf einer elektronischen Plattform. Aus strategischem Blickwinkel könnte man argumentieren: Wären diese Versteigerungsverträge geschlossen und die Bergbaulizenzen vor Kriegsbeginn vergeben worden, hätte Russland wegen seines Angriffs auf die Ukraine massive Probleme mit internationalen Investoren bekommen, insbesondere durch Schiedsverfahren. So hat beispielsweise der Eigentümer der Azow-Stahlwerke, der ukrainische Oligarch Rinat Achmetow, Russland auf Schadenersatz verklagt. Auch dies könnte ein kommerzielles Motiv für den russischen Überfall auf die Ukraine gewesen sein: sich die Mineral- und Energieressourcen der Ukraine auf militärische Weise anzueignen, bevor eine größere Runde internationaler Investitionen in deren Ausbeutung einsteigt, und so späteren Schadensersatzforderung vor internationalen Schiedsgerichten vorzubeugen.
Graph: Abbildung 9: Die ukrainischen Lithium-Pegmatite im Vergleich zu den weltweit führenden LagerstättenQuellen: Bowell/Lagos/de los Hoyos/Declercq 2020; Ukraineinvest 2021.
Was die Ressourcen für die Dekarbonisierung der Industrien betrifft, so spielen besonders die Lithiumvorkommen eine wichtige Rolle für Elektromobilität, erneuerbare Energien und Energiespeicherung. Die in der Ukraine bisher geringe Exploration von Lithiumvorkommen macht es schwierig, diese Ressourcen im internationalen Vergleich zu bewerten. Es sind jedoch in den Orten Kruta Balka (Bezirk Zaporischschia), Dobra Block (Bezirk Kirowohrad) und Schewtschenkiwske (Bezirk Donezk) Pegmatite, die Spodumen führen, dokumentiert. In Dobra Block ist Petalit das häufigste Lithium-Erzmineral und wird neben Spodumen von Lithiumphosphaten begleitet. Die Lithiumgehalte variieren zwischen den einzelnen Pegmatitschwärmen im Bereich von 0,25 bis 2,23 Prozent Li
Neben Lithium sind beim Abbau von Pegmatitvorkommen strategische Elemente wie Niob, Tantal, Rubidium und Cäsium sowie Feldspat und Quarz als Industriemineralien von Interesse. Abseits von Lithium aus Pegmatiten haben auch andere Batterierohstoffe Bedeutung. Dazu gehören Graphit, Kupfer, Nickel, Kobalt und für den Automobilbau Eisen (Stahl), Aluminium und Titan. Wie aus Abbildung 10 hervorgeht, ist die räumliche Verteilung der Batterierohstoffe nicht auf ein einziges Gebiet in der Ukraine beschränkt. Besonders interessant sind die Gebiete von Schytomyr und Kirowohrad, aber auch im Donbas gibt es Vorkommen. Damit besteht das Potenzial, viele der notwendigen Wertschöpfungsketten für die Elektromobilität und die Förderung erneuerbarer Energien im Land selbst zu halten. Es ist jedoch zu beachten, dass die notwendige Infrastruktur, die Erschließung von Lagerstätten und die erforderliche Verarbeitung zu industriell benötigten Materialien erst aufgebaut werden müssen, was vom Erschließen bis zur Produktion auf internationalem Niveau etwa sieben bis zehn Jahre dauert.
Graph: Abbildung 10: Ukrainische Eisenvorkommen und Batterierohstoffe für den Übergang zu grüner EnergieQuelle: eigene Darstellung nach Ukraineinvest 2021, Mykhailov/Hrinchenko/Malyuk 2020; Naumenko/Vasylenk 2022; die von russischer Seite okkupierten Gebiete geben den Stand vom Sommer 2022 wieder.
Gold ist eine wichtige Ressource, nicht nur für Luxuszwecke oder die Reserven der Zentralbanken, sondern auch für die Elektronikindustrie, die etwa zehn Prozent der Jahresproduktion absorbiert. Auch in diesem Bereich ist Russland ein starker Wettbewerber. Abbildung 11 zeigt die entsprechende Ressourcenkarte.
Die Aussichten auf einen erfolgreichen Aufschwung der Ukraine hängen zusammen mit Erfindungen, Innovationen und der Fortführung einer industriellen Tradition, die diese Entwicklung begünstigt. Zudem ist nach allen Erfahrungen der Regionalökonomie eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung nur dann erfolgreich, wenn es gelingt, in einen neuen Innovationszyklus einzusteigen. Das Beispiel der neuen deutschen Bundesländer belegt dieses Phänomen; ihre Zentren der wirtschaftlichen Entwicklung befinden sich dort, wo sich die modernsten Industrien an Standorten mit entsprechender Tradition etablieren konnten, wie z. B. die Mikroelektronik im Raum Dresden in Sachsen, Deutschland.
Daraus folgt, dass man aus den vorhandenen Ressourcen und weltweit verfügbaren Technologien einen einzigartigen Standortmix schaffen muss. Aus diesem Grund sind die verfügbaren Rohstoffe der Ukraine von zentraler Bedeutung für die zukünftige Entwicklung des Landes. Dies veranschaulicht auch die folgende Abbildung. Die Verarbeitung von Lithium und die Produktion von Batterien finden derzeit größtenteils in China statt, das die meisten der benötigten Mineralien außerhalb seines Landes abbaut. Abbildung 12 zeigt die derzeitige Situation auf, aber auch die Möglichkeiten, als europäischer Anbieter in diese Märkte einzutreten. Die grundlegenden Rohstoffe kommen zu einem wesentlichen Teil aus Russland. Gerade dieses Potenzial soll als neuer Technologiekreislauf für die Ukraine untersucht werden.
Graph: Abbildung 11: Goldvorkommen in der UkraineQuelle: Ukraininvest; die unter russischer Kontrolle stehenden Gebiete geben den Stand vom Sommer 2022 wieder.
Gegenwärtig sind Elemente wie Lithium, Nickel, Kobalt und Mangan für fast alle modernen Industrien von essenzieller Bedeutung und nötig für die Herstellung von Hochleistungsbatterien. Seltene Erden wie Dysprosium und Neodym sind unverzichtbar für die Elektromobilität, d. h. für Magnete im Antriebsstrang oder für elektrische Windgeneratoren. Nach Angaben des ukrainischen Geoforschungsinstituts hat die Ukraine das Potenzial, einer der größten Lithiumproduzenten auf dem Weltmarkt zu werden, da sie über beträchtliche Reserven verfügt. Allerdings müssen die Lithiumvorkommen und -lagerstätten noch untersucht werden, um die Bohrdaten aus der Zeit der UdSSR durch moderne Explorationsbewertung zu bestätigen. Das privatwirtschaftlich organisierte Explorationsumfeld in der Ukraine, insbesondere bei Rohstoffen wie Lithium, steckt noch in einem sehr frühen Stadium. Exploration und Abbau geschehen in der Regel in getrennten Lizenzen, wobei letztere für bis zu 20 Jahre erteilt werden können. Die moderne Erschließung der bekannten Lithiumvorkommen nach international anerkannten Berichterstattungsstandards wie dem australischen JORC oder dem kanadischen NI-43-101 wird einige Zeit in Anspruch nehmen, im Allgemeinen etwa vier bis sechs Jahre. Planung und Bau von Bergbaubetrieben sowie von Anlagen zur Gewinnung von Lithiummineralien und zur chemischen Verarbeitung sind kapitalintensiv und bewegen sich pro Mine mit Verarbeitungsanlage in der Größenordnung von 0,8 bis 1,5 Mrd. Euro. Dabei handelt es sich jedoch um international vergleichbare Kapitalkosten, und die künftigen ukrainischen Betriebskosten werden auf europäischer oder globaler Ebene sehr wettbewerbsfähig sein.
Graph: Abbildung 12: Dominanz im E-MobilitätsmarktQuelle: Benchmark Minerals Intelligence; https://
Um den absehbaren Bedarf an wichtigen Mineralien zu decken, müsste die Produktion stark ausgeweitet werden. Der Produktionsprozess für kritische Rohstoffe steht allerdings vor mehreren Herausforderungen: Er ist äußerst energieintensiv und hinterlässt einen erheblichen ökologischen Fußabdruck. Darüber hinaus fallen große Mengen an Abfallstoffen an, die eine aktive Lagerung und Bewirtschaftung erfordern oder die Verwendung in anderen Wertschöpfungsketten und Produkten, also eine Nutzung als Nebenprodukte. Die Produktion von Lithium-Ionen-Batterien für Elektroautos könnte die Ukraine an die Spitze der Entwicklung der Elektromobilität in Europa bringen. Die Technologie zur Herstellung von Lithium-Ionen-Akkumulatoren ist jedoch so weit fortgeschritten, dass es für die Ukraine nicht leicht sein wird, in diesen Markt einzudringen, vor allem weil die Herstellung komplex ist und die Markteinführung das Land sehr viel kosten wird. Ohne europäische Förderprogramme kann die Ukraine daher nicht mit den Ländern des „Lithium-Dreiecks" konkurrieren. Dies könnte sich allerdings schnell ändern, wenn erhöhte Umweltstandards in Europa durchgesetzt und auf Lieferketten ins nichteuropäische Ausland angewendet würden.
Die drei Lithiumlagerstätten Schewtschenkiwske, Polochiwske und der Standort Dobra erscheinen als die vielversprechendsten für eine potenzielle wirtschaftliche Ausbeutung. Die Lagerstätte Schewtschenkiwske befindet sich im Bezirk Welykonowosilkiwskyj in der Region Donezk, Polochiwske im Bezirk Malowyskijwskj in der Region Kirowohrad und der Standort Dobra liegt im Bezirk Nowoukrainskyi in der Region Kirowohrad. Haupterzmineral von Schewtschenkiwske ist Spodumen, in Polochiwske überwiegt Petalit, am Standort Dobra findet sich eine gemischte Anreicherung von Spodumen und Petalit. Die beiden Minerale unterscheiden sich unter anderem durch ihren Lithiumgehalt; Spodumen ist mit bis zu 3,7 Prozent Lithium wirtschaftlich lukrativer als Petalit mit Gehalten von bis zu 2,3 Prozent Lithium. Alle drei Lagerstätten sind von einem dicken Deckgebirge aus Sedimentgestein und einem bis zu 100 m mächtigen Verwitterungshorizont bedeckt und befinden sich in der Steppenzone mit überwiegend flacher Topografie. Entdeckt wurden sie Ende des 20. Jahrhunderts durch großangelegte regionale geologische Untersuchungen und Explorationen.
Tabelle 5: Eigenschaften der Lithiumvorkommen in der Ukraine
Die Lagerstätte Die Lagerstätte Die Lithiumerzlagerstätte Pegmatit Pegmatit Pegmatit Die Lithiummineralisierung der Lithiumerz aus der Lagerstätte Die Lithiumerzmineralisierung des Standorts Die Lagerstätte In der Lagerstätte Die Fundstelle Die Lagerstätte ist untersucht, erkundet und weist genehmigte Reserven auf, d. h. Reserven, die für die Erschließung vorbereitet wurden. Nachgewiesene Reserven von Lithiumerz sind in den Kategorien C1 + C2 (oder gemäß der UN International Framework Classification von 1998), Codes der Klassen 121 (explorierte Reserven) und 122 (wahrscheinliche Mineralreserven) im Verhältnis 2: 3. Gemäß den Ergebnissen der Bohrarbeiten wurden Lithiumerzreserven in den Kategorien C1 + C2 (entsprechend den Codes der Klassen 111 (nachgewiesene Mineralreserven) und 122 (wahrscheinliche Mineralreserven) im Verhältnis 1:4 berechnet und genehmigt. Die Erze am Standort
Quelle: eigene Zusammenstellung basierend auf Syomka 2022, Liventseva 2022 und Heichenko/Falkovych/Mienasova/Liventseva 2023; (a)
Die Lithiumvorkommen sind in unterschiedlichem Maß geologisch erkundet; Explorationsbohrungen und Bohrkerne sind nur in geringem Umfang vorhanden. Lithiumerzreserven und -ressourcen bis zu einer Tiefe von 500 m von der Oberfläche werden derzeit nur für diese drei Lagerstätten geschätzt und könnten eine vielversprechende Grundlage für künftige „grüne Industrien" bilden.
Die Exploration der Lagerstätte Polochiwske ist in Vorbereitung auf den Abbau am weitesten fortgeschritten und befindet sich zurzeit in einer den Abbau vorbereitenden Entwicklungsphase. Viele ukrainische Experten halten diese Lithiumlagerstätte für eine der größten in Europa, zumal gute Aussichten bestehen, dass der Umfang der Reserven mit zunehmender Tiefe zunimmt. Die Lagerstätte ist recht kompakt und besteht aus gut definierten Erzkörpern, deren Mächtigkeit im Durchschnitt 60 m erreicht. Im Gegensatz dazu bestehen die beiden anderen Vorkommen aus vererzten Aderschwärmen, die einen relativ unkomplizierten Untertageabbau ermöglichen.
Um die historischen Mineralressourcendaten zu bestätigen und die Explorationsdichte zu erhöhen, müssen systematische Explorationsbohrungen mit geochemischen Analysen durch international zertifizierte Labors und geometallurgische Studien durchgeführt werden, um geeignete Flussdiagramme für die Mineralaufbereitung zu entwickeln. Weitere geologische Lithium-Anomalien wurden in den Sedimentkomplexen der Ediacara bei Podillja und des Karbons im Donbas festgestellt. Vielversprechend sind auch die Seltenmetall-Pegmatite in der zentralen Dnipro-Region, der Krywyj Rih-Krementschuk-Zone (Zentralukraine) und in der Region Wolyn (Nordwestukraine).
Graph: Abbildung 13: Anteil Russlands an Metallimporten Deutschlands, Februar 2022Quelle: eigene Darstellung basierend auf Daten der Deutschen Rohstoffagentur (DRI: direct reduced iron)
Die obige Tabelle 5 fasst die Daten der drei wichtigsten Standorte zusammen.
Auf der Grundlage von Lithium als einem grundlegenden Rohstoff der grünen Energiewende könnte eine moderne ukrainische Industrie aufgebaut werden, wie in Abbildung 14 dargestellt. Zwei Cluster stehen im Zentrum: Der Bergbau von der Lithiummine bis zur Anreicherung und zu weiteren Verarbeitungsschritten sowie die industrielle Produktion, hier vor allem die Konversion zu Lithiumhydroxyd als Ausgangspunkt für weitere Industrien, vor allem für die Batterieherstellung sowie für die Nutzung der Abfälle als Nebenprodukte.
Die Potenziale der Entwicklung einer Titanoxidindustrie infolge reicher Titanvorkommen seien hier noch einmal betont, auch weil die Ukraine zu den wichtigsten fünf Ländern zählt, die Titanerzkonzentrate produzieren, aber bisher nur teilweise weiterverarbeitet. Es wäre für die Ukraine von Vorteil, eine Wertschöpfungskette für die Titanindustrie zu schaffen: von der Gewinnung der Rohstoffe bis zur Herstellung von Titanfertigprodukten, beispielsweise Weißpigment für die Farbenherstellung oder Leichtmetall und Legierungen für den Leichtbau.
Europa hat in der Vergangenheit eine beträchtliche Anzahl von Rohstoffen, über die auch die Ukraine verfügt, aus Russland bezogen – neben Öl, Gas und Kohle sowie Eisen und Stahl vor allem wichtige Nichteisenmetalle. Deutschlands hohe Abhängigkeit als größter europäischer Industriestandort von Russland bei metallischen Rohstoffen ist in Abbildung 13 dargestellt. Spezialgüter wie Eisenschwamm aus der Direktreduktion spielen dabei ebenso eine Rolle wie Kupfer als Kathodenmaterial für die Elektromobilität. Verschärft wird diese Abhängigkeit dadurch, dass derzeit 68 Prozent der Nickelverarbeitung in China stattfindet. Da dies auch bei Lithium und Graphit der Fall ist, hängt die wichtigste strategische Möglichkeit, grüne Energien voranzutreiben, im Grunde von autoritär regierten Ländern ab. Genau hier könnte die Ukraine als positive Alternative einspringen.
Grundlage einer solchen „grünen" Industrie ist die Verfügbarkeit „grüner" erneuerbarer Energie, die sowohl Onshore- und Offshore-Standorte als auch die landwirtschaftlich weniger produktiven Gebiete des Ostens zur Erzeugung von Strom (Windenergie und Photovoltaik) und von, als Energieträger der Zukunft, Wasserstoff nutzt. Letzterer ist wichtig für verschiedene thermische Prozesse in der Baustoffindustrie, vor allem aber interessant für den Einsatz in Lithiumkonvertern.
Graph: Abbildung 14: Strategische Industriecluster der UkraineQuelle: eigene Darstellung
Die Lithiumminen müssten von vornherein unter den Regularien der künftigen ESG (Environmental Social Governance)-Regelungen gebaut und betrieben werden. Zum Beispiel könnte man, wo möglich und wirtschaftlich vertretbar, Aufbereitungs- und Veredelungsanlagen unterirdisch anlegen, um den ökologischen Fußabdruck (Lärm, Staub, Landschaftsverbrauch) zu verringern.
Für die Versorgung der ukrainischen Pkw-Flotte mit Batterierohstoffen wären zwei bis drei Lithiumkonverter mit einer Jahresproduktion von jeweils rund 22 kt Lithiumhydroxid erforderlich. Für eine europäische E-Fahrzeug-Industrie bräuchte es allein zu diesem Zweck europaweit etwa 20 Konverter. Zu diesem Lithiumbedarf kämen noch Akkumulatorkapazitäten für LKW und für die stationäre Energiespeicherung hinzu. Mögliche Nebenprodukte aus der Gewinnung von Lithiumerzmineralkonzentraten wie Gips oder Aluminiumsilikate ließen sich in der Baustoffindustrie einsetzen. Der Aufbau von Konverterkapazitäten in Dreierclustern würde einer Investition von rund 2 Mrd. Euro entsprechen und pro Cluster rund 1.000 Arbeitsplätze sichern, was in etwa dem Beschäftigungsumfang einer herkömmlichen Erdölraffinerie entspricht, die durch die Dekarbonisierung entbehrlich wird. Dies könnte auch die sozioökonomischen Auswirkungen des Strukturwandels von fossilen zu erneuerbaren Energiewirtschaften abfedern.
Da mit dem Ende der konventionellen Eisenoxidverhüttung und der Umstellung auf die Direktreduktion von Eisenerzen zu Eisen die Erzeugung von Hüttenschlacken und granulierten Hochofenschlacken entfällt und ebenso mit Abschaltung der Kohlemeiler der Gips aus der Rauchgasentschwefelung, bieten sich die Nebenprodukte der Lithiumindustrie als günstige Rohstoffe für die Gips-, Zement- und Asphaltindustrie an. Solche Erweiterungen der Wertschöpfungsketten der Nebenprodukte könnten die Investitionen des Clusters und die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze leicht verdoppeln.
Ausgehend von der Produktion von Lithiumhydroxid können sich Folgecluster in der Pharma- und Batterieindustrie, die beide hochreines Lithium benötigen, sowie in der Glas- und Keramik-, Sanitär-, Baustoff- und Öl-/Schmierstoffindustrie entwickeln. Im Sinn von effizientem Umweltschutz und Schonung der Umwelt könnte sich in der Ukraine, wenn der Rückfluss von Schrottmaterial ausreichend groß ist, langfristig eine Recyclingindustrie entwickeln.
Seit Russland die Ukraine überfallen hat, ist viel über seine strategischen Absichten spekuliert worden. In der Regel werden machtpolitische Gründe genannt, insbesondere das Bestreben der Machtvertikale um Putin, den Einflussbereich der Sowjetunion wiederherzustellen und so den Ost-West-Konflikt erneut aufleben zu lassen, um ihn zu russischen Bedingungen zu beenden. Aber auch wirtschaftliche Motive fallen möglicherweise ins Gewicht. Sie lassen sich in drei Kategorien unterteilen:
Zum einen ist für Russland die Ukraine wichtig, um wieder einen Großmachtstatus zu erhalten, den es zur Verfolgung seiner strategischen Ziele nutzen kann. Wenn zu den 142 Millionen Russen 40 Millionen Ukrainer (plus 10 Millionen Weißrussen und eventuell weitere Ex-Sowjetrepubliken) treten, dann würde Russland bald mehr als 200 Millionen Einwohner zählen und auch wirtschaftlich erheblich an Macht gewinnen. Das würde Russlands internationale Position vor allem als Anbieter einer Reihe von Rohstoffen und landwirtschaftlichen Produkten außerordentlich stärken.
Zweitens muss angesichts des geradezu kriminellen Charakters der Putinschen Machtvertikale (Kleptokratie) davon ausgegangen werden, dass es auch private Interessen von Mitgliedern dieses Clans gibt, sich am Ukraine-Krieg zu beteiligen und zu bereichern. Das gilt für den Chef der Söldnertruppe Wagner, Evgenij Prigoschin, der in erster Linie ein Geschäftsmann ist, am Krieg bereits viel Geld verdient hat und möglicherweise vor seiner „Entmachtung" auch sein Auge auf Ressourcen in der Ukraine als „Beutegut" geworfen hat. Andere mögen im Stillen ähnliche Ziele verfolgen.
Drittens kann man zu Recht annehmen, dass wegen der mutmaßlich großen Vorkommen in der Ukraine an Lithium und anderen Mineralien, die unverzichtbare Voraussetzung für die Dekarbonisierung des Straßen- und Bahnverkehrs sowie der Industrien in den Industrieländern sind, ein wichtiges Ziel Russlands darin besteht, durch exklusive Kontrolle dieser Rohstoffe sein internationales Machtpotenzial zu erweitern. Schließlich ist hier die Importabhängigkeit der westlichen Welt nur allzu bekannt.
Die Ukraine ist mit einem ungewöhnlichen Reichtum an natürlichen Bodenschätzen sowie fossilen (Kohle, Öl und Gas) und erneuerbaren (Wasser, Wind und Sonne) Energieressourcen ausgestattet. Diesen Reichtum als historisch „natürlichen" oder neuen Besitz Russlands zu betrachten, spiegelt Wladimir Putins falsche Vorstellung von den kulturellen, politischen und strategischen Realitäten auf lokaler, regionaler und globaler Ebene wider. Offensichtlich ist die Umwandlung von der Sowjetunion zu freien und unabhängigen Staaten (Russland eingeschlossen) mit dem Recht, ihr Volk und Territorium souverän zu regieren, von weiten Teilen der russischen politischen Führung nicht verstanden worden. Wertvolle Bodenschätze nahe der westlichen Grenzen Russlands haben Putins Wunsch verstärkt, in ein friedliches Land einzumarschieren, das über beträchtliche Ressourcen für die grüne Energie verfügt und dessen wertvolle Vorkommen an Rohstoffen wie Lithium, Kobalt, Nickel und seltenen Erden noch genau zu erforschen sind. Die derzeit von Russland besetzten Gebiete der Ukraine sind weit mehr als irgendein Prozentsatz der Landesfläche: Sie sind integraler Bestandteil der Ukraine und unersetzliche Basis für den industriellen und wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes nach dem Krieg.
Die ukrainischen Rohstoffregionen bergen fast alle Zutaten, die für das Management der Wertschöpfungsketten und damit für den Übergang von Rohstoffen (Bergbau) zur verarbeitenden Industrie unter Verwendung von grüner Energie erforderlich sind. Sie könnten, vor allem aus dem Ausland, große Investitionen in Logistik und Produktion anlocken und nachhaltige Innovationsschübe auslösen. Das würde nicht nur die ökonomische Unabhängigkeit begünstigen, sondern auch die wirtschaftlichen Beziehungen zum übrigen Europa auf Augenhöhe anheben. Bedingung für den Erfolg ist allerdings die Beseitigung der Korruption, ein großes Hindernis für Wachstum und Integration in die EU, und selbstverständlich zunächst das vollständige Vertreiben der russischen Invasoren.
Dieser Beitrag wurde am 20.4.2023 eingereicht.
By Ulrich Blum; Gregor Borg; Nico Kropp; Hanna Liventseva and Ievgeniia Rozhkova
Reported by Author; Author; Author; Author; Author
Geschäftsführer ITEL
Doktorand
Vorsitzende der Ukrainischen Vereinigung der Geologen und Editor-in-chief des Journals Ukrainian Geologist