Die Folgen der Corona-Pandemie und des Ukrainekrieges stellen die Supply Chains vor Herausforderungen
Tino Böhler Produktion Nr. 15 , 2023
Landsberg (ilk). Bis vor kurzem wurde – im Zeitalter der Globalisierung – noch dort produziert, wo die günstigsten Stückkosten lockten. Zudem hieß das Motto ‚Just-in-time, just-in-sequence', wie Rainer Hundsdörffer, Senior Advisor bei Markt-Pilot, einwirft. Bianca Illner, Leiterin Business Advisory im VDMA: „Vor drei Jahren kam der Maschinenbau gerade schrittweise, aber spürbar aus der Engpasssituation in Folge der Corona-Pandemie heraus. Nach dem September 2020 verschlechterte sich wieder die Versorgungssituation in Folge der rasant wachsenden Nachfrage sowie des Kriegs in der Ukraine – und zwar oft gravierend."
Moritz Ückert, Senior Vice President Global Operations Grenzebach, sieht in der Corona-Krise eine große Zäsur in der Versorgung: „Wir hatten vor Covid allgemein eine stabilere Versorgungslage. Wir sehen, dass die Globalisierung aber nicht nur Vorteile mit sich gebracht hat, sondern dass Risiken und Lieferketten fragiler sind, als wir dachten." Viele Unternehmen prüfen im Lichte wachsender internationaler Spannungen ihre Beschaffungsstrategie im Hinblick auf Themen wie Resilienz und Risikomanagement. Rainer Hundsdörfer: „Als Reaktion versuchen die Unternehmen die Abhängigkeit ihrer Lieferketten von asiatischen Lieferanten zu reduzieren und auf mehr regionale Lieferungen umzusteigen." Wie das konkret aussehen kann, verdeutlicht Moritz Ückert von Grenzebach, einem globalen Anbieter von Automatisierungslösungen für die Fertigungsindustrie: „Wir leiten aus den rollierenden Forecasts unserer verschiedenen Business Units einen Forecast für unsere Lieferanten ab. Auf Basis dieser Forecasts treten wir an unsere Lieferanten heran und besprechen mit ihnen unseren Bedarf. Aufgrund der teilweise langen Lieferzeiten haben wir hier einen gegenseitigen, offenen Austausch und die Bestellung von Materialien bedarfsorientiert gestaffelt, um so auch Hamsterkäufe zu vermeiden und nur nach dem ermittelten -Bedarf zu bestellen." Auch Bianca Illner sieht darin den richtigen Weg: „Die letzten drei Jahre haben aber auch gezeigt, dass die Kommunikation mit den Lieferanten intensiviert werden muss. Es hat sich leider öfter gezeigt, dass etwa Rahmen-Abrufverträge, die die Versorgung stabilisieren sollten, vom Lieferanten nicht genutzt wurden, um sich ihrerseits auch mit Vormaterial langfristig einzudecken." Rückblickend lässt sich sagen, dass es noch vor drei Jahren kein Problem war, sich auf nur einen Lieferanten zu verlassen: Es wurde möglichst kostengünstig auf der ganzen Welt eingekauft. „Moderne Strategien müssen sich aber gegen die veränderten Randbedingungen absichern", gibt Rainer Hundsdörfer zu bedenken. Neben Wirtschaftlichkeit, Liefersicherheit und Kosten gelte es also auch, Compliance-Themen zu beachten. Aktuell ändert sich die Marktsituation wieder, denn die Märkte sind viel dynamischer, aber auch unberechenbarer geworden. Auch viele Mitglieder des VDMA sind nach den Erfahrungen der letzten Jahre sensibilisiert, bei manchen Unternehmen gibt es auch schon etablierte Konzepte, während andere noch ihren Weg suchen und am Konzept arbeiten. Dazu Bianca Illner: „Die strukturelle Neuaufstellung von Wertschöpfungsketten ist im Maschinenbau ein längerer Prozess und nichts, was auf die Schnelle umsetzbar ist, so dass sich hier bislang kein abschließend einheitliches Bild abzeichnet." In Zukunft könnten die Eng-pässe sogar wieder zunehmen, „da sich Märkte abschirmen und wirtschafts politisch abgeschirmt werden und sich ein globallokaler Protektionismus abzeichnet", blickt Grenzebach-Manager Ückert in die Zukunft. Für Maschinen- und Anlagenbauer besteht demnach die Herausforderung, die Lieferfähigkeit von Ersatzteilen sicherzustellen, um gleichzeitig das lukrative und sehr resiliente Ersatzteilgeschäft zu stärken. Rainer Hundsdörfer: „Gerade hier ist Geschwindigkeit sowie Transparenz besonders wichtig. Ein Maschinenstillstand ist ein Worst-Case-Szenario." Für Moritz Ückert ist es an dieser Stelle daher sehr wichtig, die richtigen Fragen zu stellen, wie etwa „Wie würde eine Lieferkette ohne einen globalen Hauptlieferanten aussehen?" oder „Wie kann man hier reagieren?" oder „Gibt es überhaupt Alternativen?". Fazit: Unternehmen sollten sich in Zukunft ihrer Abhängigkeiten von den Lieferanten noch viel stärker bewusst werden und sich diese immer ins Gedächtnis rufen. Anders können kaum neuen Möglichkei-ten und Szenarien entwickelt werden, um auf dynamische und vor allem sehr fragile Lieferketten zu reagieren. n
Graph: Rainer Hundsdörfer, Senior Advisor bei Marktpilot: Hersteller bemühen sich, die Abhängigkeiten von asiatischen Lieferanten zu verringern. Bild: Marktpilot
Graph: Bianca Illner, Leiterin Business Ad---vi-sory beim VDMA: Neuaufstellung der Wertschöpfungsketten ist ein -längerer Prozess. Bild: VDMA
Graph: Moritz Ückert, Senior Vice President Global Operations Grenzebach, sieht Gefahren durch den ‚globallokalen Protektionismus'. Bild: Grenzebach