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Ralf Klabunde, Wiltrud Mihatsch & Stefanie Dipper (Hg.). 2022. Linguistik im Sprachvergleich. Germanistik – Romanistik – Anglistik. Berlin, Heidelberg: J. B. Metzler. 913 S.

Eichinger, Ludwig M.
In: Zeitschrift für Rezensionen zur Germanistischen Sprachwissenschaft, Jg. 15 (2023-12-01), Heft 1/2, S. 52-57
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Ralf Klabunde, Wiltrud Mihatsch & Stefanie Dipper (Hg.). 2022. Linguistik im Sprachvergleich. Germanistik – Romanistik – Anglistik. Berlin, Heidelberg: J. B. Metzler. 913 S 

Ralf Klabunde, Wiltrud Mihatsch & Stefanie Dipper (Hg.). 2022. Linguistik im Sprachvergleich. Germanistik – Romanistik – Anglistik. Berlin, Heidelberg : J. B. Metzler. 913 S.

Das Konzept

Der in der Lehrbuch-Reihe des Metzler-Verlages erschienene Band bietet ein vertieftes Wissen über die Breite der Informationen, die in linguistischen Einführungsveranstaltungen insgesamt abgedeckt werden. Fast das gleiche Herausgeberteam hat vor ein paar Jahren eine allgemeine Einführung in die Linguistik ([1] 2018) vorgelegt, die sich in ähnlicher Weise wie der vorliegende Band an die im Untertitel angesprochenen Nutzer-Gruppen wendet. Auf diese Einführung als Basis der Ausführungen wird an verschiedenen Stellen explizit rekurriert. Die Darstellung wendet sich an ein deutschsprachiges Publikum und bietet so, wenn man von der Germanistik kommt, leichter die Möglichkeit, auf Informationen zu den anderen Sprachen und ihrer sprachwissenschaftlichen Behandlung zuzugreifen, umgekehrt aber auch eher anglistisch und romanistisch geprägten Lesern Informationen zum Deutschen. Logischerweise werden die verschiedenen Bereiche vertiefter und auf fortgeschrittenerem Niveau behandelt als in der erwähnten Einführung, zentral ist zudem die dezidiert sprachvergleichende Orientierung. Inhaltlich wird die Breite des Faches abgedeckt.

Die Sprachen und der Vergleich

In den unterschiedlichen Teilen, aber auch innerhalb der in sieben Großkapiteln (Phonetik und Phonologie, Syntax, Morphologie, Semantik, Pragmatik, Varietätenlinguistik, Diachrone Linguistik) zusammengefassten 46 Einzelbeiträge ist das Vergleichen unterschiedlich präsent. Die Sprachen des Vergleichs sind das der germanischen Sprachfamilie zugehörige Deutsche, die drei romanischen Schulfremdsprachen (Französisch, Italienisch und Spanisch) und das Englische (mit seiner „Mischstruktur"). In einem Lehrbuch, das auf Leser des Deutschen (und auch germanistisch Interes-sierte) zugeschnitten ist, werden die Dinge zumeist zunächst am Deutschen dargestellt, manches Theoretische eher am Englischen (bzw. zumindest im Kontext der englischsprachigen Diskussion). Wohl aufgrund der Fachtradition der Romanistik, in der ein Wissen zumindest um die behandelten drei romanischen Sprachen verbreitet ist, finden hier häufiger unmittelbar interne Vergleich statt.

Es gibt mehrere Gründe, ein Linguistik-Lehrbuch wie das vorliegende gemeinsam an ein Publikum zu richten, das sich mit diesen (auch im schulischen Bereich präsenten) europäischen Sprachen beschäftigt. Zum einen gibt es zentrale methodische und theoretische Punkte, die in all den entsprechenden Philologien eine Rolle spielen. Das betrifft im vorliegenden Band etwa die Beiträge zu syntaktischen Theorien oder zu Konzepten und Formen der semantischen Beschreibung. Zum anderen bietet das Nebeneinander der Darstellung der Verhältnisse in den verschiedenen Sprachen in gewissem Umfang selbst eine vergleichende Perspektive. Das ist vielleicht am deutlichsten in den Beiträgen zur Phonetik und Phonologie der behandelten Sprachen. Es gibt aber auch kategoriale Bereiche, die ohnehin auf Vergleichbarkeit ausgerichtet sind, etwa die Beiträge, die sich mit der Trias Modalität, Temporalität und Aspektualität beschäftigen. Zum dritten gibt es eine Reihe von linguistischen Bereichen bzw. Themen, die von Hause aus mit Variation oder Sprachkontakt zu tun haben und damit ohnehin die einzelsprachlichen Bereiche überschreiten.

Nebeneinander und in unterschiedlichem Umfang vergleichend dargestellt werden die fünf Sprachen in den Teilen Phonetik und Phonologie, Syntax, Morphologie, in den Unterkapiteln Tempus und Aspekt, Modus und Modalität, Pragmatische Marker, zudem die Kapitel zu den Varietäten der behandelten Sprachen und der Teil zur Diachronen Linguistik.

Die allgemeinen und theoretischen Beiträge zu Bedeutungstheorien, Satzsemantik, Raumsemantik, Quantifikation, Sprechakten, Informationsstruktur, Implikaturen und Inferenzen, Deixis, Kohäsion und Kohärenz sowie Aspekte der Diachronie nutzen im Wesentlichen deutsche (und englische) Einzelbeispiele. Die Kapitel zur Gesprächsanalyse sind theoretisch stark auf die angelsächsische Diskussion hin orientiert, in der dargestellten Empirie aber auf das Deutsche bezogen, das Kapitel zu Texten und Text-sor-ten hat im allgemeinen Teil eine spezifische romanistische Perspektive, differenziert aber bei den Textsorten nach Sprachen.

Dezidiert sprach- und varietätenübergreifend ist natürlich der Beitrag zu Code und Code-Switching (S. 635–64; mit Englisch-Spanisch und Deutsch-Italienisch als Sprachpaaren). Typologisch weit ausgreifend (S. 438–439) ist der Vergleich im Beitrag zu Tempus und Aspekt (S. 433–456), wobei die slawischen Sprachen selbst hier nur einen kurzen Hinweis bekommen (S. 444); im ebenfalls nach der allgemeinen Darstellung vergleichend angelegten Moda-litätskapitel (S. 457–484) fehlt überraschenderweise das Englische fast völlig.

Phänomenbezogene Kapitel

Viele andere der unmittelbar auf die verschiedenen Sprachen bezogenen Beiträge lassen sich nicht so einfach nach diesem Muster zuordnen: Sie sind vielmehr ggf. eher darauf ausgerichtet, bei methodischer Vergleichbarkeit ein Bild des jeweiligen Objektbereichs zu geben, das neben Grundsätzlichem Spezifika der einzelnen Sprachen betont, und dann zudem noch mehr oder minder explizit zu vergleichen.

Das sieht man z. B., wenn man die Kapitel zur Syntax des Deutschen (S. 113–154) und des Englischen (S. 155–187) vergleicht. Vergröbert zusammengefasst bietet das Kapitel zum Deutschen ein Gesamtbild, das ausgehend von dem Felder-/Satzklammermodell und der SOV-Struktur durch eine Beschreibung der Besetzung der so eröffneten syntaktischen Positionen ein übersichtliches Gesamtbild entwirft. Explizite Vergleiche gibt es kaum (es gibt eine „Vertiefungsbox" zu Verbkonstruktionen übereinzelsprachlich (S. 129)). Wie u. a. die Formulierung der Gliederungspunkte zeigt (z. B. „Der Satzgliedverband ist nicht alles" (S. 135)) achtet der Beitrag auf eine gewisse Lesbarkeit und eine mit dem erwartbaren Wissen kompatible Darstellungsweise. Der unmittelbar anschließende Beitrag zur Syntax des Englischen pflegt einen ähnlichen Duktus und ist vom generativen Paradigma geprägt. Er vergleicht sicher auch deshalb durchweg mit den deutschen Verhältnissen und expliziert die Unterschiede der gewählten Optionen bei der prinzipiellen Ähnlichkeit dieser beiden Sprachen, so dass es denn auch Unterkapitel gibt, die dezidiert die deutschen Verhältnisse beschreiben (z. B. „V2‑Stellung als zentrale Eigenschaft von Hauptsätzen im Deutschen" (S. 171–172)), was zu der im Beitrag zum Deutschen geführten SOV-Diskussion passt (sie taucht als Punkt in allen Syntaxteilen auf). Bei der Lektüre über z. B. alle Syntaxteile hin trifft man dann doch auch auf allerlei Unterschiede, die von der Einbettung in unterschiedliche linguistische Traditionen herrühren – so ist z. B. beim Französischen viel vom Valenz-Konzept die Rede (S. 195–199), ebenso zeugen sie von sprachbedingten Akzentsetzungen. Erst im Vergleich fällt einem auf, dass z. B. alle Syntaxteile außer dem Deutschen über Wortarten sprechen. Während die Beiträge zu den anderen Sprachen damit beginnen, Wortarten, dann Wortgruppen/Phrasen und Satzglieder zu thematisieren (am grundsätzlichsten beim Französischen und beim Spanischen, sehr knapp beim Englischen), bleibt das beim Deutschen implizit. Es gibt im Syntaxkapitel auch keinen Hinweis darauf, dass die Wortarten des Deutschen (verständ-licherweise) im Morphologieteil (S. 305–313) behandelt werden. Wenn der deutsche Teil mit der beiläufigen Exemplifizierung der Stellungsoptionen in einem Text beginnt, finden sich an gleicher Stelle beim Französischen und Italienischen Hinweise zum Sprachtyp und zum Vergleich. Man muss die Varianz wohl so lesen, dass diese über eine Einführung hinausgehenden Darstellungen Sprachspezifik, unterschiedliche Darstellungstraditionen, Theoriepräferen-zen und auch Fragen der didaktischen Wirksamkeit betreffen, so dass man neben grundsätzlich Vergleichbarem auch jeweils Unterschiedliches lernt, wenn man sich Beiträge dieses Bandes vornimmt. Die grundlegenden und weiterführenden Kenntnisse der vorliegenden Einzelbeiträge, die einen weiter in die Linguistik und weiter in die jeweilige Sprachlinguistik hineinführen, als das ein Einführungsbuch oder auch eine Einführungsveranstaltung kann, leiten durchaus auf verschiedene Wege.

Das wird bei den parallelen Darstellungen zu den klassischen systemlinguistischen Beschreibungsebenen am deutlichsten sichtbar. Es gilt aber prinzipiell auch für die Darstellung der Varianten und der diachronen Verhältnisse. So passt es denn, dass der Beitrag zu den Varietäten des Deutschen (S. 673–698) mit dem Punkt „Einführung: natürlich variiert auch Deutsch" (S. 674) beginnt, wovon bei den anderen Sprachen nicht die Rede ist; was wiederum dazu passt, dass alle Sprachen außer dem Deutschen den Phonetik/Phonologie-Beitrag mit einem Unterkapitel „Varietäten und Aussprachenormen" (bzw. beim Englischen: „Referenzvarietäten") beginnen. Insgesamt sind die einzelsprachlichen Darstellungen zu den Varietäten und zur Diachronie sachlich sehr informativ und nahe an der aktuellen Diskussion; natürlich führen im Varietäten-Teil die unterschiedlichen Sprachgebrauchsbedingungen (etwa die verschiedenen Varianten des weltweiten Englisch bzw. in der Frankophonie und des weltweiten Spanisch) zu unterschiedlichen Sichtweisen. In den Kapiteln zur Diachronie zeigt sich aber dann doch bei all den Unterschieden auch die Vergleichbarkeit in der europäischen Sprachenwelt, was die Entwicklung hin zu den europäischen Standard- und Nationalsprachen betrifft.

Theorie- und methodenbezogene Teile

Wenn bei der bisherigen Besprechung der Gedanke des Vergleichens der sprachlichen Verhältnisse leitend war, so ist auch klar, dass die Explikation und Reflexion der methodischen und theoretischen Basis die Grundlage für das Vergleichen bilden und notwendiges generelles Handwerkszeug liefern. So gesehen bieten die allgemeinen Kapitel dieser Teile einen Überblick über gemeinsame Voraussetzungen und laufende Diskussionen dazu, was jeweils einzelsprachlich auf den verschiedenen Ebenen linguistischer Beschreibung erfasst wird.

Offenkundig ist das so beim Kapitel „Moderne Syntaxtheorien" (dem bei weitem längsten Beitrag des Bandes; S. 241–297), auch bei den entsprechenden Ausführungen zu Bedeutungstheorien (S. 389–412), die ebenfalls viel handwerkliches Wissen liefern, und zur Satzsemantik (S. 413–432), in denen u. a. die generelle Basis zum Konzept der Argumentstrukturen gelegt wird, das in vielen der beschreibenden Kapitel eine Rolle spielt. Im Semantik-Teil sind auch die Ausführungen zur Raumsemantik (S. 485–492) und das (kurze; S. 493–497) Kapitel zur Quantifikation vom Typ der theoretisch-methodischen Fundierung.

Auch in der Abteilung Pragmatik dominieren die Beiträge konzeptueller Art, so die zu Implikaturen und Inferenzen (S. 543–560) oder zur Deixis (S. 561–576). Die Ausführungen zu Sprechakten, zur Informationsstruktur und zu Kohäsion und Kohärenz bedienen sich im Wesentlichen erläuternder deutscher Beispiele. Beim Kapitel „Pragmatische Marker" (S. 515–528) werden alle Sprachen berücksichtigt, um das Konzept hinreichend zu verdeutlichen. Gesprächsanalyse (S. 615–634) (deutsch) und Texte und Textsorten (S. 595–614) (bei Textsorten: alle Sprachen) werden jeweils anhand sprachlicher Ex-empel erläutert.

Was die Abteilung zu den Varietäten angeht, so bietet der Beitrag von Koch und Oesterreicher zu Mündlichkeit und Schriftlichkeit (S. 649–662) die Gelegenheit, den klassischen Ansatz dieser beiden Autoren im Licht neuerer Diskussion dargestellt zu sehen. Die Ausführungen zu Code-Switching (S. 635–638) erläutern das Konzept exemplarisch, abstrakter behandelt der Beitrag zu Kontaktsprachen (S. 663–672) sein Thema. Einen theoretischen Rahmen für diesen Bereich bietet der Beitrag „Aspekte der Diachronie" (S. 787–804).

Ein Lehrbuch

Der Lehrbuchcharakter wird nicht nur durch Kästen vertiefender Information verschiedenster Art verstärkt, sondern auch dadurch, dass regelmäßig „Selbstfragen" (und dann am Ende deren Antwortoptionen) gegeben werden, um den Verständnisfortschritt zu überprüfen.

Vermutlich dem Lehrbuchartigen ist auch zuzuordnen, dass in den auf die verschiedenen Sprachen bezogenen Partien die Sprachen in unterschiedlichen Reihenfolgen auftreten (außer dem Deutschen, mit dem grundsätzlich begonnen wird).

Abgesehen von diesen didaktisch motivierten Charakteristika stellt sich natürlich die Frage, welche Funktion ein Lehrbuch dieses Umfangs und dieser Art von Ausdifferenzierung hat. Die bzgl. des Umfangs von 913 sehr vollen Seiten (ca. 5000 Zeichen pro Seite) naheliegende Frage, wer das lesen solle, ist nicht die richtige Frage. In Anbetracht der Vielfalt der gebotenen Informationen wird man den Band sicher zur Erweiterung und Vertiefung des Wissens zu verschiedenen Bereichen (und ggf. über die Sprache der eigenen fachlichen Herkunft ausgreifend) nutzen. Vermutlich muss man sich bei Bedarf durch etliche Kapitel lesen, um auch die jeweiligen methodisch-theoretischen Implikationen im Auge zu behalten – wobei das natürlich je nach Informationstyp schwankt. So scheint das Konzept des Bandes nahezulegen, es im Kontext einschlägiger Lehrveranstaltungen als verbreiterte Informationsbasis zu nutzen, die dann in der Lehre diskutiert werden kann.

Literatur 1 Dipper, Stefanie, Ralf Klabunde & Wiltrud Mihatsch (Hg.). 2018. Linguistik: eine Einführung (nicht nur) für Germanisten, Romanisten und Anglisten. Berlin, Heidelberg: Springer.

By Ludwig M. Eichinger

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Titel:
Ralf Klabunde, Wiltrud Mihatsch & Stefanie Dipper (Hg.). 2022. Linguistik im Sprachvergleich. Germanistik – Romanistik – Anglistik. Berlin, Heidelberg: J. B. Metzler. 913 S.
Autor/in / Beteiligte Person: Eichinger, Ludwig M.
Link:
Zeitschrift: Zeitschrift für Rezensionen zur Germanistischen Sprachwissenschaft, Jg. 15 (2023-12-01), Heft 1/2, S. 52-57
Veröffentlichung: 2023
Medientyp: academicJournal
ISSN: 1867-1691 (print)
DOI: 10.1515/zrs-2023-2002
Schlagwort:
  • ROMANCE languages
  • GERMAN language
  • ENGLISH as a foreign language
  • ENGLISH language
  • LINGUISTICS
  • Subjects: ROMANCE languages GERMAN language ENGLISH as a foreign language ENGLISH language LINGUISTICS
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Author Affiliations: 1 = Schopenhauerstraße 12, D-68165 Mannheim, Germany
  • Full Text Word Count: 1804

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