Hinweis Der Verfasser bedankt sich bei Professor Dr. Joachim Krause für ergänzende Hinweise und kritische Anmerkungen.
Drohnenkriegführung hat enorm an Bedeutung gewonnen – das ist eine der Lehren aus dem Ukraine-Krieg. Dieser Krieg wird auf beiden Seiten wesentlich mit Drohneneinsatz unterschiedlicher Art ausgetragen. Eine zunehmende Rolle spielen Minidrohnen. Der Kriegsverlauf lässt auch eine Dynamik von Gegenmaßnahmen und deren Neutralisierung oder Umgehung erkennen, die Aufmerksamkeit verdient, weil westliche Streitkräfte ansonsten den Anschluss verlieren können. Der Krieg in der Ukraine markiert jedoch nicht den Beginn der Militarisierung von Drohnen und der damit verbundenen Transformation der Kriegführung. Schon seit mehr als zwanzig Jahren wächst die Bedeutung von Drohnen für Aufklärung, taktische Führung und als direktes Kampfmittel. Die Transformation der Kriegführung hat schon früher eingesetzt, der Ukraine-Krieg beschleunigt sie jetzt wie ein Katalysator.
Drohnen wurden zu Beginn dieses Jahrhunderts vor allem von den USA, aber auch von Israel im großen Maßstab zu militärischen Zwecken genutzt. Ziel war es, Terroristen, Milizen oder irreguläre Kräfte in entfernten und schwer zugänglichen Regionen zu bekämpfen, ohne eigene Verluste an Menschen und Material zu riskieren. Nach dem 11. September 2001 kam es in den USA und einigen anderen Ländern geradezu zu einem Boom der Drohnenkriegführung, sowohl bei Aufklärung und Feuerleitung als auch der direkten Bekämpfung. Besonders die Obama-Administration setzte stark auf Drohnen zur Bekämpfung von islamistischen Milizen und Terroristen in Afghanistan, in Somalia, im Jemen und Irak, in Pakistan und anderen Ländern. Diese Entwicklung regte eine Vielzahl von wissenschaftlichen Analysen an, die unterschiedliche Aspekte aufgriffen:
- Zum einen untersuchte man die Effektivität der Drohnenkriegführung im Rahmen der Terrorismusbekämpfung und der asymmetrischen Kriegführung. Hierbei lautete die Kernfrage, ob und in welchem Maß sich die Anzahl terroristischer Anschläge gegen westliche Streitkräfte oder Verbündete reduzieren lasse und wie nachhaltig die Tötung von Führungspersonen in Terrororganisationen oder islamistischen Milizen deren Handlungsfähigkeit beeinträchtigen werde.
- Des Weiteren stand die Frage im Mittelpunkt, inwiefern Drohnenkriegführung die Strategie der Counterinsurgency unterlaufe, indem sie die Bevölkerung, die man eigentlich für die eigene Seite gewinnen will, eher vom Westen entfremde.
- Auch entspann sich eine sehr kontroverse Debatte darüber, ob mit dem targeted killing durch zunehmend automatisierte, fernbetriebene Systeme nicht Grenzen der völkerrechtlichen Zulässigkeit überschritten werden. Besonders in Deutschland wurde tiefernst diskutiert, ob man überhaupt Drohnen beschaffen solle.
- Zudem wurde darauf verwiesen, dass die Technologie der Drohnenkriegführung keinesfalls auf die westlichen Staaten beschränkt bleiben wird. Mit der weiteren Ausbreitung von Drohnen sei damit zu rechnen, dass diese in asymmetrischen Konflikten gegen westliche Streitkräfte eingesetzt und vor allem Terroristen neue Anschlagsmöglichkeiten eröffnen würden.
- Andere Autoren betonten, Drohnenkriegführung werde auch den qualitativen Charakter der „regulären" Kriegführung zwischen traditionellen Streitkräften verändern. Drohnen würden die Dynamik des Konflikts zwischen Staaten verändern und neue Optionen der Eskalation oder Verzögerung bieten.
Heute muss man feststellen, dass vor allem die beiden zuletzt genannten Punkte sich als hochgradig relevant und viele der damaligen Prognosen als korrekt erwiesen haben. Zum einen ist eine Proliferation von Drohnen zu erkennen. Diese wird im ersten Abschnitt behandelt. Der Ukraine-Krieg hat zu einer Dynamik der Kriegführung mit und gegen Drohnen geführt, die erhebliche taktische, operative und auch strategische Konsequenzen nach sich zieht. Auf diese Entwicklung wird im darauffolgenden Abschnitt eingegangen. Abschließend werden die daraus resultierenden strategischen Folgen erörtert.
Drohnen gibt es heute in einer Vielzahl und Varianten und sie stehen einer zunehmenden Zahl von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren zur Verfügung. Vor allem die rasanten technischen Entwicklungen der letzten zehn Jahre haben dazu geführt, dass zum Beispiel Mini-Drohnensysteme (meist zivilen Ursprungs) heute für jedermann erreichbar und daher für alle nutzbar sind. Diese neuen Möglichkeiten erkannten spätestens ab Mitte der 2010er-Jahre nicht nur staatliche Akteure, auch Terrororganisationen blieben sie nicht verborgen. Es war der Islamische Staat (IS), der erstmals im großen Umfang handelsübliche Mini-Drohnen einsetzte. Zunächst dienten diese vorrangig zur Aufklärung möglicher Angriffsziele für (von Selbstmordattentätern gesteuerte) fahrende Autobomben (Suicide Vehicle Borne Improvised Explosive Device, SVBIED). Rasch wurden noch innovativere Ideen entwickelt. So warfen IS-Kämpfer überaus erfolgreich kleine Sprengsätze aus handelsüblichen Drohnen ab bzw. ließen mit Sprengstoff beladene Mini-Drohnen „Kamikaze"-ähnlich auf Ziele stürzen. Beim Kampf um Mossul von Oktober 2016 bis Juli 2017 waren die irakischen Sicherheitskräfte zeitweise mit dutzenden Drohnenangriffen täglich konfrontiert. Nicht jeder der Sprengkörper fand sein Ziel, doch Zufallstreffer, gefolgt von spektakulären Explosionen, stellten die Iraker und die verbündeten Koalitionsstreitkräfte vor große Herausforderungen. Der IS produzierte die abgeworfenen Sprengkörper nach eigenen Qualitätsstandards und verwendete eine Vielzahl unterschiedlicher Mini-Drohnen (vor allem der chinesischen Firma DJI) in Rotary- und Fixed-wing-Ausführungen. Die mitgeführten Kameras hatten vielfältige Aufgaben, für Aufklärung, Zielfindung und -zuweisung sowie Schaffung nützlicher Propagandaaufnahmen.
Diese Fähigkeiten sprachen sich schnell herum, sodass der Einsatz von leicht zu beschaffenden Drohnensystemen in allen Konfliktregionen zunahm. Aus dem Nahen und Mittleren Osten wanderten diese Tactics, Techniques and Procedures (TTP) in die Sahelzone, nach Libyen und schließlich in die Ukraine. Dem Vorbild des Einsatzes von Mini-Drohnen durch den IS folgten viele andere terroristische Organisationen, so auch die Taliban. Diese filmten ihre spektakulären Anschläge nun simpel mit Mini-Drohnen. Das Jahr 2018 brachte eine erste bemerkenswerte Qualitätssteigerung. Im Februar gelang es einer Drohne vom (iranischen) Typ Saegheh-2, von Syrien in den israelischen Luftraum zu fliegen. Ihr Abschuss erfolgte rasch, beim Angriff auf die Bodenkontrollstation wurde jedoch eine israelische F-16I abgeschossen. Das stellte eine Zäsur dar. Die abgeschossene Saegheh-2 ähnelte frappierend einer amerikanischen Aufklärungsdrohne vom Typ RQ-170 Sentinel. Ein Exemplar dieses Typs war im Dezember 2011 im iranischen Luftraum verschwunden. Nach anfänglichem Dementi Amerikas forderte der damalige US-Präsident Obama schließlich den Iran zur Rückgabe amerikanischen „Eigentums" auf. Anscheinend war es dem Iran gelungen, die amerikanische Drohne mittels reverse engineering nachzubauen. Das eigentlich Bedeutende an dem Vorfall in Israel war, dass man diese Saegheh-2 offensichtlich mit Sprengstoff beladen hatte. Für die Israelis war es eine böse Überraschung, wäre der Gegner, in diesem Fall iranische Revolutionsgarden, doch in der Lage gewesen, gezielt ein beliebiges Objekt auf israelischem Boden anzugreifen. Entsprechend öffentlichkeitswirksam präsentierte der israelischen Premier Netanjahu daher (u. a. auf der Münchner Sicherheitskonferenz) die Überreste der Drohne.
Graph: Der israelische Ministerpräsident Netanjahu auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2012
Der Iran stieg trotz eines strengen Sanktionsregimes in Kürze zu einer Art „Drohnensupermacht" auf, wobei ihm der Krieg im Jemen als Testgelände für die Technologie von unbemannten Systemen diente. Bis heute ist es einer arabischen Koalition nicht gelungen, die im Jemen kämpfenden Huthi-Rebellen zu besiegen. Trotz Lieferung und Einsatz von westlichen Präzisionswaffen und bewaffneten Drohnen blieben die arabischen Koalitionsstreitkräfte bis jetzt ohne Erfolg. Die aufständischen Huthis hingegen konnten durch den Einsatz von iranischen Drohnen unterschiedlichen Typs eine gewisse Symmetrie im Konflikt herstellen. Den Bombardierungen der arabischen Koalitionsstreitkräfte konnten sie zwar nichts entgegensetzen, doch waren sie in der Lage, selbst über hunderte Kilometer Entfernung Vergeltung zu üben. Im Jahr 2017 setzten die Huthis erstmals „selbst produzierte" Drohnen vom Typ Qasef-1 ein. Im Aussehen waren diese klar dem iranischen Modell Ababil-2 zuzuordnen. Mit einer Reichweite von 150 Kilometern und beladen mit Sprengstoff stellten sie bereits ein potentes Waffensystem dar. In der Folge häuften sich auch die Berichte über ihren Einsatz. So reklamierten die Huthis mehre Angriffe auf Ziele in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten für sich. Die Angriffe richteten sich gegen die kritische Infrastruktur, d. h. Flughäfen (u. a. in Dubai) und Erdölanlagen (Pipelines und Förderanlagen in Saudi-Arabien). Zum Teil sollen diese Angriffe über mehrere hundert Kilometer geflogen worden sein. Bereits im April 2018 schossen saudische Flugabwehrsysteme erstmals vermeintliche Drohnen über den Flughäfen von Abha und Jizan ab. Im Juli und August 2018 sollen die Flughäfen von Abu Dhabi und Dubai mit Sammad-3 angegriffen worden sein. Im Juli 2018 erfolgte ein weiterer Angriff auf die saudische Erdölraffinerie von Riad mit einer Sammad-2. Die verwendeten zwei Typen sollen über eine Reichweite von bis zu 1.400 km verfügen. Bis Mitte 2022 feuerten die Huthis über 430 ballistische Raketen und 851 Drohnen auf das Königreich Saudi-Arabien ab.
Anfang September 2020 verkündete ein Sprecher der von den Huthis unterstützen jemenitischen Armee in einer Pressekonferenz, dass es neuerlich gelungen sei, den saudischen Flughafen von Abha mit weitreichenden eigenen Drohnen anzugreifen. Meldungen wie diese zeigten erstmals deutlich, dass Drohnen und die Auswirkungen ihrer Einsätze nicht mehr zu unterschätzen waren. In Jemen und Saudi-Arabien tobt bis heute ein regelrechter Drohnenkrieg. Während amerikanische MQ-9 Reaper-Drohnen Jagd auf al-Quaida-Kämpfer auf jemenitischem Staatsgebiet machen, wehren sich Huthi-Rebellen gegen die Angriffe einer von Saudi-Arabien geführten Koalition, indem sie mit Sprengstoff beladene Drohnen einsetzen. Dafür verwenden sie überwiegend aus dem Iran angelieferte Drohnen. Diese Kampfführung führt immer wieder zu spektakulären Erfolgen. So gelang es im September 2019, die bedeutenden Erdölproduktions- und Verteileranlagen Khurais und Abqaiq mitten in der saudischen Wüste anzugreifen. In der Fachwelt wurden die Folgen damals mit dem Satz umrissen, dass dies die „... größte tägliche Unterbrechung der Ölversorgung in der Geschichte der Menschheit sei." Der durch den Ausfall verursachte Gesamtversorgungsverlust der saudischen Anlagen soll rund 5,7 Millionen Barrel Ölproduktion pro Tag – mehr als die Hälfte der jüngsten Produktion Saudi-Arabiens und rund sechs Prozent des weltweiten Angebots – sowie täglich zwei Milliarden Kubikfuß Gasproduktion umfasst haben. Angriffe wie diese führen vor Augen, dass die Kriegsführung mittels Drohnen mittlerweile zum festen Bestandteil eines jeden Konfliktraums gehört. Drohnen sind nicht nur potenten State Actors (z. B. den USA, Israel, Großbritannien und Frankreich) vorbehalten, sondern werden zunehmend vor allem von Non State Actors eingesetzt.
Heutzutage ist das Phänomen von Drohnenangriffen durch Non State Actors in der Konfliktregion Naher und Mittlerer Osten nichts Neues. Das Geschehen in den Konfliktherden im Irak, in Syrien, im Jemen und in der Levante (sprich: Israel gegen seine Vielzahl von Feinden) ist bereits seit einigen Jahren voller Berichte über sogenannte „Drohnenangriffe." Diese reichen vom Einsatz improvisierter bewaffneter Mini-Drohnen bis zu unbemannten Systemen in der Größe von Kleinflugzeugen. Schon im Jahr 2004 machten israelische Soldaten eine unangenehme Entdeckung: Die Terrororganisation Hisbollah hatte offensichtlich begonnen, Mini-Drohnen zur Aufklärung einzusetzen. Innerhalb der folgenden 24 Monate wurde diese Fähigkeit weiter ausgebaut und im Jahr 2006 erfolgte die nächste Überraschung: Hisbollah-Kämpfer versuchten, mit Sprengstoff bestückte Drohnen gezielt bei Angriffen gegen israelische Soldaten zu verwenden. Laufend werden die verfügbaren Systeme weiterentwickelt. Auch beim Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 spielten Drohnen eine wichtige Rolle. Die Hamas verfügte bereits seit 2021 über Drohnen. Diese zerstörten Überwachungstürme und Merkava-Kampfpanzer der IDF.
In der Ukraine wiederum häuften sich ab 2014 Berichte über Mini-Drohnen, die von den sogenannten „Separatisten" geflogen wurden. Eine Analyse der verwendeten Modelle bewies, dass die Fertigung der Drohnen nicht in Luhansk und Donetsk erfolgt war, sondern dass es sich um russische Armeemodelle handelte. In Syrien kopierten Regimetruppen und Rebellengruppierungen die Einsatztaktiken des IS. Und das Land wurde für eine weitere Qualitätssteigerung in der Einsatzführung bekannt: ab Januar 2018 griffen wiederholt ganze Drohnenschwärme den russischen Luftwaffenstützpunkt Khmeimin an und beschädigten schwer bzw. zerstörten mehrere russische Kampflugzeuge. Es gab Hinweise, dass der Angreifer die einzelnen Drohnen über einen Leitstrahl zum Ziel dirigiert hatte – eine Fähigkeit, die in ihrer Komplexität nicht unbedingt den syrischen Rebellen zuzuordnen ist. Der Urheber dieses über eine weite Distanz geführten Angriffs bleibt weiterhin im Dunkeln. Fakt ist jedoch, dass die Einsätze der russischen Luftwaffe entscheidend zu den Erfolgen der syrischen Streitkräfte beitragen, also eine Störung dieser Einsätze im Interesse einer Vielzahl von Akteuren liegt. Es zeigte sich somit, dass der Einsatz von Mini-Drohnen nicht nur für Non State Actors interessant ist, sondern auch für Staaten, die mit einem Angriff nicht in Verbindung gebracht werden wollen. Dafür eignet sich die Drohne perfekt. Ohne Kennzeichnung – und vor allem ohne menschlichen Piloten – lässt sich nach Auffindung möglicher Überreste über den Urheber des Einsatzes nur spekulieren. Und selbst wenn die technische Bauart auf eine bestimmte Herkunft hinweist, so lässt sich immer behaupten, dass die Verwendung durch andere oder gar missbräuchlich erfolgte.
Je komplexer die Fähigkeiten, mit denen eine Drohne ausgestattet ist, desto höher der technische Aufwand beim Bau und Einsatz. Einfache Systeme lassen sich im Internet bestellen, größere Modelle entstammen jedoch eindeutig militärischer Forschung und Produktion. Zum Beispiel wurden von den ukrainischen Streitkräften und deren Freiwilligenverbänden ab 2014 immer wieder Modelle vom russischen Typ Forpost und Orlan-10 in der Ostukraine abgeschossen und erbeutet. Eine Analyse der technischen Fähigkeiten ergab, dass diese Systeme sich für weit mehr als nur zur Aufklärung eignen. So ermöglichen sie die In-time-Zielzuweisung für Artilleriesysteme unterschiedlicher Reichweiten (z. B. von Mehrfachraketenwerfern TOS-1 oder BM-21, BM-27 bzw. von Panzerhaubitzen vom Typ 2S19).
Graph: Die russische Drohne Forpost
Delikaterweise ist die russische Forpost eine Weiterentwicklung der israelischen IAI Searcher. Dieser Typ war von Israel bereits in den 1980ern entwickelt worden und hatte sich als Exportschlager erwiesen. Drohnen vom Typ Orlan-10 wiederum verfügten über Vorrichtungen, die eine Kontrolle von GSM-Funksignalen ermöglichen. In einer derartigen Konfiguration setzen russische Streitkräfte das System Leer-3 ein. Drohnen vom Typ Orlan-10 sind eindeutig russische Eigenentwicklungen und wurden 2013 erstmals an die russischen Streitkräfte ausgeliefert. Die Liste der erfolgreich von unterschiedlichen Akteuren verwendeten Drohnen unterschiedlichen Typs und variabler Größe ließe sich beliebig erweitern. Bemerkenswert ist jedoch, dass mittlerweile nicht nur für ihre Drohnenkriegsführung bekannte Staaten, die USA oder Großbritannien etwa, bewaffnete Drohnen verwenden, sondern auch Staaten wie der Irak, Nigeria und der Iran. China hat die Lücke in der globalen Waffenindustrie erkannt und liefert auf Bestellung bereits Systeme, die in ihrer Größe und Leistung mit amerikanischen Unmanned Aerial Vehicles(UAV) vom Typ MQ-1 Predator und MQ-9 Reaper vergleichbar sind. Auch arabische Staaten erweisen sich als eifrige Kunden der Chinesen. Folglich häufen sich Sichtungen von Wracks chinesischer Drohnen (z. B. vom Typ Wing loong) oder türkischer Modelle (z. B. vom Typ Bayraktar TB2) in Libyen und im Jemen. Die Drohnenkriegführung ist also nicht mehr den altbekannten Akteuren vorbehalten.
Russlands neuerlicher Einmarsch in der Ukraine am 22. Februar 2022 entfachte einen regelrechten Drohnenkrieg. Beide Konfliktparteien begannen im großen Umfang Drohnen einzusetzen. Die Ukraine konnte in der Anfangsphase des Kriegs vom Drohneneinsatz stärker profitieren als Russland. Sie verfügte bereits im Februar 2022 über einige potente, leistungsfähige Drohnenmodelle und erhielt mit Kriegsbeginn auch Spenden bzw. Lieferungen anderer Systeme (z. B. Quantix Recon oder Vector). Die Ukraine hatte unter anderem das türkische Modell Bayraktar TB2 beschafft. Dieses zeichnet sich durch sein kleines, kompaktes Design und die Fähigkeit zum Mitführen von Luft-Boden-Raketen aus. Bayraktar TB2 kann Raketen der MAM-L, MAM-C und MAM-T (Mini Akilli Mühimmat – Smart Micro Munition für Drohnen) einsetzen. 2020 setzte die Ukraine erstmals diese türkischen Drohnen ein, um damit Radarstationen auf der Krim zu beobachten. Ein Jahr später beschoss man mit der TB2 eine Artilleriestellung in den Separatistengebieten der Ostukraine. Auch seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 bekämpften diese Drohnen Ziele auf russischer Seite. Der Ukraine sind mit Bayraktar Drohnen mehrere erfolgreiche Angriffe auf russische Streitkräfte gelungen. Bis Ende April 2022 waren TB2 für die Zerstörung von fast der Hälfte aller außer Gefecht gesetzten russischen Boden-Luft-Raketen-Fliegerabwehrsysteme (z. B. vom Typ Buk M1) verantwortlich. Außerdem vernichteten sie zumindest sechs gepanzerte Fahrzeuge und fünf gezogene Artilleriegeschütze. Auch waren drei TB2-Drohnen an der Versenkung des russischen Kreuzers Moskwa im Schwarzen Meer beteiligt. Sie störten bzw. täuschten das Abwehrsystem der Moskwa, lokalisierten den Kreuzer und ermöglichten so den Einsatz von zwei in der Ukraine hergestellten Neptun-Raketen. Drohnen wurden nicht nur in der Luft eingesetzt, sondern auch an Land und besonders zu Wasser. Seedrohnen haben bei den Angriffen auf russische Militäreinrichtungen auf der Krim als auch bei den Attacken auf die Kertschbrücke eine Rolle gespielt.
Die Ukraine verfügt zudem über Loitering Munition („Kamikazedrohnen"), so etwa das polnische Modell Warmate. Diese Drohne stürzt sich in ein Ziel und zerstört es durch den Einschlag. Der Gefechtskopf erlaubt es, sogar starke Panzerungen zu durchschlagen. Hinzu kommen die Lieferungen von Modellen der NATO und der USA. Konkret handelt es sich um die Systeme Switchblade 300 oder 600 und Phoenix Ghost. Diese Systeme können mit ihren Hohlladungsgefechtsköpfen Panzer zerstören und so auf dem Gefechtsfeld große Wirkung erzielen. In Antwort auf Russlands strategische Luftangriffe fliegt die Ukraine immer wieder auch Angriff auf russisches Territorium, z. B. mit Drohnen vom Typ Tu-141.
Überdies haben die Ukrainer als erste die First-Person-View-Drohne (FPV) eingesetzt. Diese technologische Neuerung entstammt der Drohnenszene. Offenkundig haben Bastler solche Drohnen entwickelt, die man mit einer VR-Brille verknüpft und mittels Virtual Reality lenkt, als säße man wie ein Pilot in der Drohne. Anwender nutzen diese Drohne und ihre Steuerungssystematik, bewaffnen sie aber mit Sprengstoff, zum Beispiel mit dem Gefechtskopf einer Panzerrakete, und steuern sie dann gezielt in einen Bunker oder in ein Kraftfahrzeug. Diese Methode hat die Ukraine sehr innovativ auf dem Gefechtsfeld eingesetzt und baut die Geräte weiterhin, aber nur in kleiner industrieller Fertigung, weil sie nicht mehr über umfangreiche militärisch-industrielle Kapazitäten verfügt.
Russland hat anfangs der Kriegführung mit Drohnen wenig Bedeutung beigemessen. Das hat sich im Lauf des Kriegs allerdings rapide verändert. Seine Streitkräfte verfügen heute über verschiedene Drohnen unterschiedlicher Gewichts- und Leistungsklassen wie taktische und kleinere Drohnen (z. B. Forpost oder Orlan-10 und Orlan-30), aber auch größere Modelle (z. B. Orion, vergleichbar mit der Drohne vom Typ Predator bzw. Reaper der US-Streitkräfte). Russland setzt darüber hinaus Kamikazedrohnen ein, so das Modell Kub-Bla in Kyjiw bzw. das Modell Lancet im Donbass. Drohnenaufklärung in Kombination mit Artilleriefeuer erwies sich für Russland als besonders effektiv.
Graph: Ein ukrainischer Soldat startet eine zivile Drohne, die eine VOG-17 Granate mit sich trägt
Anders als die Ukraine war Russland sehr erfolgreich beim Einsatz von Drohnen für strategische Luftangriffe auf die kritische Infrastruktur der Ukraine. Die russischen Streitkräfte hatten die notwendigen Drohnen nicht nur Verfügung, konnten diese aber ab Sommer 2022 aus dem Iran importieren (Shahed-131/36 Drohnen). Der Iran lieferte bis jetzt geschätzte 3.000 Stück Shahed-131/136 an das russische Militär. Damit besitzt Russland ein billiges, effizientes Waffensystem, das hohen Druck auf die ukrainischen Verteidiger ausübt. Bislang hat die Ukraine über 2.000 Shahed Drohnen abgeschossen. Hier muss man allerdings hinzufügen, dass die Shahed-131/136 vor allem dem Ziel der laufenden Bindung der ukrainischen Luftabwehr und einer Abnützung des verfügbaren Fliegerabwehrmunitionspotenzials dient. Ihr vorgestaffelter Einsatz ermöglicht oft erst den gezielten Einsatz von Marschflugkörpern. Außerdem kostet eine Shahed-Rakete etwa 20.000 Euro, jede IRIS-T-Abwehrrakete der Ukraine ganze 450.000 Euro. Russland wäre ohne Shahed-Drohnen nicht in der Lage gewesen, seine strategische Luftkampagne durchzuführen. Die Ukraine hingegen konnte lediglich eher symbolische Angriffe auf Ziele im russischen Hinterland und in Moskau mit wenig leistungsstarken Langstreckendrohnen durchführen.
Inzwischen rüstet Russland seine Streitkräfte massiv mit Drohnen aus. Shahed-Drohnen werden nun in Russland zusammengesetzt und zunehmend mit russischen Komponenten bestückt. Auch bei den FPV-Drohnen hat Russland nachgelegt, Drohnen unterstützen es bei der Elektronischen Kampfführung (EloKa) und der Informationskriegführung. Die russische Orlan-10 beispielsweise kam als Teil eines EloKa-Komplexes zum Einsatz, um im Rahmen psychologischer Kriegsführung gezielt Kurznachrichten an ukrainische Soldaten zu versenden.
Graph: Überreste einer Shahed-Rakete iranischen Ursprungs in der Ukraine
Bis heute setzten ukrainische und russische Streitkräfte tausende Drohnen auf engstem Raum und gleichzeitig auf dem Gefechtsfeld ein. Aufklärungsdrohnen schaffen ein transparentes Lagebild, Angriffsdrohnen erzielen zerstörerische Wirkung. Vor allem sogenannte FPV-Drohnen, die sich billig produzieren und mit hohlladungsbildenden Sprengkörpern ausstatten lassen, stürzen sich, vom Bediener aus sicherer Ferne gesteuert, sehr wirksam auf alles, was sich auf dem Gefechtsfeld bewegt. Der Einsatz von Drohnen hat seit Februar 2022 eine Dynamik entwickelt, die viele Beobachter dazu bewegt hat, von einer „Revolution der Kriegführung" oder zumindest einer bedeutenden qualitativen Veränderung zu sprechen. Diese Ansicht wird nicht allseits geteilt.Tatsächlich scheint es vornehmlich auf die jeweiligen Umstände des Drohneneinsatzes anzukommen, also darauf, ob und wie sich der spezifische Kriegsverlauf im Zuge des Wettlaufs zwischen Drohneneinsätzen und Gegenmaßnahmen verändert und welche Rolle industrielle Kapazitäten und die finanzielle Kraft beider Seiten spielen.
Legt man die beiden Faktoren „qualitativer Wettlauf" und „industrielle Kraft" zugrunde, dann geht das derzeitige Bild nicht zum Vorteil der Ukraine aus. Elektronische Gegenmaßnahmen der russischen Seite haben die Effektivität ukrainischer Drohnen erheblich gemindert. Russland ist es gelungen, die ukrainischen Drohnen zu circa drei Viertel zu stören, das heißt abzulenken und als präzises Eingriffsmittel zu neutralisieren (jammen). Dadurch können die Ukrainer das von ihnen erfundene System der FPV-Drohne nicht mehr so wirksam einsetzen wie in den Monaten zuvor. Auch weitreichende ukrainische Drohnen werden zunehmend effektiv von russischer Seite „gejammt." Entsprechend wies der ukrainische Generalstabschef Valery Saluschny in einem Beitrag für den Economist darauf hin, dass sein Land die Offensive zur Rückeroberung der besetzten Gebiete erst dann wieder aufnehmen könne, wenn es zu Fortschritten in der elektronischen Kriegführung (gemeint war die Abwehr des russischen Jamming) – und anderen Waffenbereichen – käme. Zudem gestaltet sich die Produktion von FPV-Drohnen in der Ukraine immer schwieriger, seit China den Export der dafür benötigten zivilen Drohnen in die Ukraine verboten hat. Hinzu kommt der Faktor industrielle Kraft: Russland baut heute schon mehr und qualitativ hochwertigere Drohnen als die Ukraine, deren rüstungsindustrielle Kapazität infolge der russischen Luftangriffe darniederliegt. Es hat nicht nur begonnen, FPV-Drohnen industriell herzustellen, sondern flutet auch das Gefechtsfeld mit seinen Drohnensystemen und jammt gleichzeitig diejenigen der Ukraine. Die Ukrainer jammen zwar ebenfalls die russischen Drohnen, aber ihre Kapazitäten sind begrenzter. Russland will demnächst bis zu 6.000 Shahed-Drohnen (russisch: Geran) herstellen.
Die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf dem Schlachtfeld sind absehbar. Erfolg hatte die Einsatzführung der Ukraine immer dann, wenn sie mobil war. Doch die Russen haben es immer wieder geschafft, den Gegner in eine stationäre Kampfführung zu zwingen. So wird der Krieg zum Abnutzungskrieg, der die russische Seite bevorteilt. Nur auf diese Weise kann Russland seine großen Fähigkeiten ausspielen, zum Beispiel beim Einsatz massiver Artillerie. Dieses Dilemma wollte die Ukraine mit ihrer Offensive durchbrechen, die am 4. Juni 2023 begann. Nachdem die Offensive nicht die in sie gesetzten Ziele erreichte, hat Russland die Ukrainer wieder in den Stellungskrieg hineingezwungen. Beide Seiten stecken in einer Art Pattsituation. Und technologische Entwicklungen verstärken diesen Trend. Während die Ukraine in den vergangenen Monaten sehr innovativ neue Waffensysteme eingeführt hat, hat die russische Seite diese Neuerungen oft kopiert und selbst zu produzieren begonnen. Mittlerweile haben wir in der Ukraine das sogenannte gläserne Gefechtsfeld, auf dem für Angreifer wie Verteidiger keinerlei taktisches oder operatives Manöver mehr möglich ist. Jeder Ansatz von mechanisierten Kräften wird sofort aufgeklärt und schon im Ansatz durch umfangreiche Angriffsdrohnenschwärme oder von Drohnen gesteuerten Artillerieeinsatz zerschlagen. Hinzu kommen Minen und Hinterhalte mittels Panzerabwehrlenkwaffen. Beide Kriegsparteien sind in einen elenden Abnützungskrieg gedrängt. Dieser dürfte – wenn es nicht zu einer qualitativen Erhöhung der Militärhilfe seitens der westlichen Staaten kommt – zum Nachteil der Ukraine ausgehen.
Die laufenden Drohneneinsätze in den Kriegsgebieten der letzten Jahre machen uns bewusst, dass unbemannte Waffensysteme zum Mittel der ersten Wahl in der modernen Kriegführung geworden sind, und zeigen zugleich, welche Leistungskapazitäten Drohnen schon heute besitzen. Alle oben dargestellten Entwicklungen lassen erkennen, dass in den aktuellen Konfliktgebieten staatliche wie nichtstaatliche Akteure immer stärker auf Drohnen setzen. Die derzeitige Drohnenkriegführung ist ein klares Phänomen moderner Kriege. So wie westliche Staaten die Fähigkeit einer präziseren und möglicherweise humaneren Art der Kriegführung betonen, so entdecken auch andere Akteure, welchen Nutzen der Einsatz von Drohnen ihnen bringen kann. Drohnen sind ein billiges und effizientes Mittel und können bei richtiger Anwendung strategische Wirkung erzielen. Sie ermöglichen, dass terroristische Organisationen über große Entfernung zuschlagen können. Vor allem haben sie zwei große Vorteile: Erstens muss sich der Akteur, der Drohnen einsetzt, keine Sorgen über menschliche Piloten machen. Zweitens lässt sich die Zugehörigkeit von Wracktrümmern öffentlich stets dementieren. Daher kann man davon ausgehen, dass in Zukunft vermehrt Flugobjekte „unbekannter" Herkunft auf den Kriegsschauplätzen dieser Welt auftauchen werden. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die erste von Terroristen gelenkte Drohne ein Fußballstadion oder eine kritische Infrastruktur in vermeintlich sicheren Staaten ansteuert – in verbrecherischer Absicht und mit verheerender Wirkung. Wie dargestellt, eigenen sich Drohnen bereits erschreckend gut als Waffenträger, sei es für das Mitführen von Luft-Boden-Waffen oder eine Beladung mit Sprengstoff. Ebenso könnten Drohnen als Träger von chemischen oder biologischen Waffen verwendet werden. Würde ein derartiger Einsatz gar in Schwarmform erfolgen, könnte er tatsächlich katastrophale Auswirkungen haben.
By Markus Reisner PhD
Reported by Author
Garde Kommandant, Oberst des Generalstabsdienstes